ZfS: In einer Studie der DIHK kritisieren Arbeitgeber, dass den Bachelorabsolventinnen und -absolventen Schlüsselkompetenzen wie Teamfähigkeit, kreatives Denken, Kommunikationsfähigkeit, Führungsqualitäten oder Projektmanagementkompetenzen fehlen. Teilen Sie diese Kritik? Wie schätzen Sie die Kompetenzen der Absolventinnen und Absolventen ein?
Dr. Michael Tager: Die Diskussion über den Status und den Erfolg des Bologna-Prozesses sind noch viel vielfältiger, als es diese Studie zum Ausdruck bringt. Das hat Gründe. Die genannten Merkmale stellen Auffälligkeiten dar, ob Absolventen erfolgreich in ihr Berufsleben starten und beziehen sich ausschließlich auf Bachelorabsolventen. Nun bin ich kein Freund davon, dass Studierende mit einem Bachelor ihr Studium beenden. Sie entscheiden sich damit dafür, ihre Karriere zu limitieren, ohne diese Konsequenz wirklich einschätzen zu können. Die genannten Qualifikationen sind in der Tat auch bereits nützlich beim Studieren und nicht nur beim Start in das Berufsleben, also ohnehin unabdingbar. Soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit sind mitnichten nur für Facebook und ähnliche Plattformen und Medien erforderlich, da vermutlich am wenigsten. Aber der heutige und zukünftige Umgang mit Kontakten und persönlichen Daten, Informationen, Profilen macht es umso mehr zwingend notwendig, allein sich selbst sensibel und konsequent in diesen Schlüsselkompetenzen zu entwickeln. Das gilt dann umso mehr für das berufliche Umfeld, das sich diesen Einflüssen im persönlichen und geschäftlichen Umgang nicht entziehen kann. Insofern ist diese Kritik nachvollziehbar.
ZfS: Der Aktionsrat Bildung stellt zudem fest, dass sowohl Unternehmen als auch die Bachelorabsolventinnen und -absolventen selbst sich im Studium mehr Möglichkeiten für den Erwerb von Schlüsselkompetenzen wünschen. Der Aktionsrat empfiehlt daher unter anderem die Ausdehnung der Bachelorstudiengänge auf acht Semester, um Raum für die Herausbildung von außerfachlichen Kompetenzen zu schaffen. Wäre es Ihrer Meinung nach eine Lösung, Schlüsselkompetenzen als verpflichtenden Teil des Studiums einzuführen?
Taeger: Als einhellige Sicht in der Industrie darf wohl angenommen werden, dass es wünschenswert wäre, wenn sich die Veränderungsprozesse im universitären Bildungssektor nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich Zeit und Geschwindigkeit mehr den sich ständig weiterentwickelten Bedarfen der Wirtschaft anpassen, diese - dem Forschungsanspruch folgend - sogar vorausbildend stellen würden. Dazu mag dann auch eine kritische Anpassung des Bologna-Prozesses gehören, wobei pauschale und damit besserwissende Schlagworte wie die singuläre Forderung nach einer Verlängerung der Bachelorausbildung nicht hinreichend, nicht hilfreich sind. Es muss vielmehr über Verschiebungen von Inhalten und über die Rolle, das Selbstverständnis von Lehrenden – durchgängig und interdisziplinär – nachgedacht werden.
Beispielsweise sollten heute grundlegende Qualifikationen, wie der Umgang mit Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationstechniken verpflichtend in das Gymnasium vorverlagert werden, somit eine Zulassungsvoraussetzung für die akademische Ausbildung darstellen. Die altersmäßige Durchdringung des dazu notwendigen technischen Verständnisses ist ja teilweise überdeutlich und kann genutzt werden. Somit wird das akademische Lernen produktiver und eine zeitliche Entspannung erreicht, die für inhaltliches und methodisches Lernen zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite sind Zusatz- oder Schlüsselqualifikationen kein Schwerpunkt allein für das Bachelorstudium. Persönlichkeitsbildende und -fördernde Angebote wirken sicher besonders bei herangereiften Studierende, die ggf. erste Praktika absolviert haben bzw. beginnen, sich damit auseinanderzusetzen, eine Vision (Vision im Sinne einer vorweggenommenen Realität) ihres Berufslebens zu entwickeln. Das Angebot und die Methodik spielen eine große Rolle, ob eine Veranstaltung nur Lieferant von Points ist, oder dazu beiträgt, die Persönlichkeiten auf ihr Berufsleben vorzubereiten. Ich bin ein großer Befürworter von Case Studies, begleiteter Teamarbeit etc., wobei sich der Erfolg nicht nur in den jeweiligen Arbeitsergebnissen sondern auch in der Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen sowie in der Präsentationstechnik zeigt. Nicht jeder Lehrende ist aber – aus unterschiedlichen Gründen – in der Lage, dieses anspruchsvolle Instrumentarium anzuwenden. Die Zeiten von bunten Moderationskärtchen sollten als überholt angesehen werden. Die nächste Stufe der Entwicklung von Veranstaltungen für Schlüsselqualifikationen sollte darauf abheben.
ZfS: Die Wirtschaft sieht die Bildungseinrichtungen in der Pflicht, die jungen Leute auf das Berufsleben vorzubereiten. Könnten Ihrer Meinung nach auch die Unternehmen etwas tun, um die persönlichen und sozialen Kompetenzen der Berufseinsteiger weiterzuentwickeln? Wenn ja, welche Möglichkeiten gibt es?
Taeger: Die Unternehmen tun ja sehr viel, die Absolventen in ihr Unternehmen zu integrieren und vorzubereiten. Gerade aus diesen Bemühungen und den damit verbundenen Erkenntnissen heraus erwächst ja diese Forderung. Hintergrund ist, dass Weichen in der fachlichen Entwicklung und in der Persönlichkeitsstruktur viel früher und prägender gestellt werden, also bevor die Absolventen in die Unternehmen kommen.
Nicht zielführend ist es hier von den Bildungseinrichtungen zu sprechen, denn das sind Konglomerate von handelnden Personen, die alle mittelbar oder unmittelbar auf die zukünftigen Absolventen einwirken. Verantwortlichkeiten und Maßnahmen müssten präzise strukturiert und adressiert werden – ein unbequemes Vorgehen. Lassen Sie mich dies mit einigen Fragen veranschaulicht beantworten. Welchen Beitrag leistet dazu jeder einzelne Hochschullehrer? Woher und wann kommt welcher Impuls an die Studierende heran, sich für die Zusatz-/Schlüsselqualifikationen zu interessieren? Sind Argumente bei Lehrenden, Hochschulleitungen, Studierenden in diesem Kontext Ausreden, Alibis oder begründete Benennungen von Ursachen? Verpflichtungen für Studierende – gibt es auch Verpflichtungen für Hochschullehrer, sich zu kümmern, über die jeweilige Spezialdisziplin einen übergeordneten Beitrag zu leisten oder Ressourcen dafür zu investieren?
Der Output an besten Wissensträgern ist allein kein Erfolg, wenn diese nicht auch in ihrer Persönlichkeit in dem Arbeitsumfeld mit Kollegen, Mitarbeitern, Vorgesetzten und Kunden sowie Lieferanten performen! Mit anderen Worten, es ist ein Bündel von Verantwortungen, aber die sollten auch präzise adressiert und controlled werden. Allgemeingültige Aussagen helfen nicht, sondern verzögern nur. Mir geht es dabei weniger um irgendwelche – zum Teil fraglichen – Persönlichkeitstrainings, mehr um die Vermittlung von Instrumenten und Tools, aber vor allem um die Simulationen der Welt, die die Absolventen später erwartet, also Anwendung des Wissens sowie Verstehen von Organisationen und Prozessen/Work Flows der zukünftigen Arbeitgeber, also von Unternehmen, Verwaltungen, Schulen etc.!
Studierende müssen frühzeitig an die Erkenntnis herangeführt werden, dass das fachliche Wissen die notwendige, aber nicht eine hinreichende Bedingung ist, erfolgreich und zufrieden in der Arbeitswelt mit ihren vielschichtigen Gesetzen zu bestehen, nicht abgestoßen zu werden. Mitarbeiter sind nicht nur Ressourcen, sondern auch Individuen, deren Prägung – jeweils einseitig wie wechselseitig – durch das Arbeitsumfeld und den privaten Bereich erfolgt und wechselseitige Auswirkungen erfahren. Angesprochen ist das Gleichgewicht von Life Balance und Zufriedenheit sowie Produktivität. Die Veränderungen hier spüren in besonderer Weise die Unternehmen, die traditionell zu den Top-Adressen für Absolventen gehören. Absolventen orientieren sich um und können sich zunehmend auch vorstellen, ihr Potential risikoaffin in neue Unternehmensstrukturen, Start Ups etc. einzubringen, die in ihrer Kultur eher an das studentische Leben erinnern. Das eröffnet die Frage nach der Fristigkeit von Karriereplanungen. Die Forderung der Unternehmen ist somit nicht falsch, aber nicht die ganze Wahrheit, denn gerade sie müssen ihren Beitrag zu dem Gelichgewicht beitragen und ihre Strukturen, Prozesse und ihr Kommunikations- und Soziales Verhalten, ihre Kultur auf den Prüfstand stellen! Es sind nicht nur die Absolventen und ihre Ausbilder, die Verantwortung für den Erfolg der Integration in die Arbeitswelt tragen.
ZfS: Momentan findet auch eine Verschiebung der Kompetenzen statt: Spezifisches Fachwissen verliert aufgrund der Schnelllebigkeit der Wirtschaft/ der schnellen Entwicklungen in einzelnen Berufsfeldern zum Teil an Bedeutung, fächerunabhängige Fähigkeiten wie zum Beispiel interkulturelle Kompetenz, Problemlösungskompetenz oder Flexibilität werden immer wichtiger. Wie können sich Studierende hierauf adäquat vorbereiten, können Sie dazu auch persönliche Erfahrungen weitergeben?
Taeger: Spezifisches Fachwissen wird nie an Bedeutung verlieren, sondern vielleicht eine andere Bedeutung erlangen.
Unter Kompetenz wird in der Wirtschaft verstanden, welche Entscheidungsbefugnis ein Mitarbeiter besitzt. In obigem Kontext ist damit die Fähigkeit von Mitarbeitern gemeint. Wissen und besonders grundlegendes Wissen ist nicht ersetzbar, nicht substituierbar gegen andere Fähigkeiten. Ich glaube nicht daran, dass Fähigkeiten gegeneinander kompensierbar sind. Das Mix, die Sensibilität für und die Fähigkeit zur persönlichen und individuellen Weiterentwicklung sind Erfolgsfaktoren. Inwieweit diese Erfolgsfaktoren wirken, hängt maßgeblich von dem Individuum und seinem Umfeld ab, in dem es sich bewegt, was dieses Umfeld erwartet, aufnehmen kann oder absorbieren wird und wie es durch das Individuum beeinflussbar ist. Und das Umfeld ist vielfältig, typisierbar nach Branchen und ihren jeweiligen spezifischen Merkmalen, Unternehmensgrößen, -strukturen und –funktionen sowie Work Flows, regionalen, nationalem oder internationalem/globalem Wirkungsgrad, Bildungsniveau, Fertigungs-/Wertschöpfungstiefe usw. – um nur einige wenige Merkmale zu nennen. Um die Frage zu beantworten: Wie soll das ein Studierender mit der verfügbaren Lebenserfahrung überschauen? Entscheidend sind die Impulse der Lehrenden, ein wirklich modernes Angebotsportfolio an Veranstaltungen, das auch die Methodiken der Anbieter kritisch hinterfragt, und von Beginn an des Studiums eine intensive – idealerweise begleitete – Gruppen-Teamarbeit bei der nicht der Einzelne ein Aufgabe beiträgt, sondern gemeinsam um die Lösungen gerungen wird, ohne dass ein Mitglied auf der Strecke bleibt. Das würde viel helfen, es müssten dazu aber auch die Rahmenbedingungen herrschen. Die Zusatzqualifikationen vermitteln bzw. sind das Handwerkszeug und werden deshalb mit Recht als Schlüsselqualifikationen bezeichnet. Mit der Bedienung eines Schlüssel ist der Eintritt in den gewünschten Raum erst möglich – das Bild passt – und damit Voraussetzung für den Erfolg! Machen wir uns und anderen das ganz einfach klar – jeden Tag! Und dass wir es mit Individuen zu tun haben!
ZfS: Vielen Dank für das Gespräch!