Computerspiel und Internetsucht
Wann wird eine Gewohnheit zur Sucht?
Die Digitalisierung des Alltags ist inzwischen so allumfassend geworden, dass die tägliche Nutzung von Smartphone, Tablet, Computer und Co. für den Großteil der Bevölkerung selbstverständlich geworden ist. Doch wann beginnt der Griff zum Handy, zur Computermaus oder zur Konsole zur Sucht zu werden? In der Wissenschaft gibt es dazu verschiedene Ansichten.
Computerspielsucht
Einig sind sich Wissenschaftler in der Einordnung von Computerspielsucht, die den Verhaltenssüchten, also den stoffungebundenen Suchterkrankungen zuzurechnen sind. Die "Internet Gaming Disorder" oder "Gaming Disorder" ist inzwischen von Experten so hinreichend untersucht worden, dass sie Mitte 2018 in der Version 11 der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) als Kategorie gelistet sein wird, nach der Ärzte in Zukunft eine Diagnose stellen können. So wird die Computerspielsucht höchstwahrscheinlich als Krankheit anerkannt werden.
Eine Reihe von Studien hat sich mit Compterspiel- und Internetsucht befasst, hier zwei Beispiele:
Internetsucht
Eine genaue Klassifikation wie sie es bei der Computerspielsucht geben wird, ist bei der sogenannten Internetsucht noch nicht vorhanden. Die Bezeichnung "Internetsucht" umfasst je nach Quelle unterschiedliche Phänomene. Manche Wissenschaftler sehen auch die Computerspielsucht als eine Internetsucht, wenn vorzugsweise online gespielt wird. Gemeint sind aber auch solche Internetbasierten Süchte wie soziale Netzwerke oder Internet-Pornographie. Dabei verlieren die Betroffenen oft den Kontakt zu ihrer Umwelt und tauchen völlig in ihre virtuelle Welt ab.
Eine Anlaufstelle zur Behandlung von Internetbasierten Süchten kann die Suchtberatung der Caritas Passau sein.
Helmut A. Höfl ist Gesamtleiter der "Ehe-, Familien- und Lebensberatung" im Bistum Passau. Er ist spezialisiert auf bindungsbasierte Paar-, Familien sowie psychologische Lebens- und Sexualberatung. Im Interview mit der Beratungsstelle spricht der 61-Jährige über die Folgen von exzessivem Porno-Konsum, welche Auswirkungen dies auf die Beziehungen zwischen zwei Menschen haben kann und wie eine erfolgreiche Behandlung gegen Online-Sexsucht aussieht.
Beratungsstelle: Was ist Online-Sexsucht?
Helmut A. Höfl: Bei der Online-Sexsucht handelt es sich um ein nicht mehr zu kontrollierendes Verlangen nach Porno-Konsum im Internet, das hauptsächlich bei stressvoller Anspannung und unangenehmen Gefühlen, seltener auch bei sexueller Begierde ausgelöst wird. Porno-Konsum ist stark mit dem neuronalen Belohnungssystem verbunden, sodass das Suchtverhalten regulativ und verstärkend wirkt.
Wie entsteht diese Sucht?
Wie bei jeder Sucht besteht auch bei der Online-Sexsucht eine Rückkopplung zwischen Reiz und Belohnung, die meist eine innere Leere oder Spannung kompensiert. Neben der physiologischen Befriedigung ist bei dieser Art der Sucht die illusorische Belohnung besonders ausgeprägt. Denn durch die Machart vieler Filme hat der Zuschauer das Gefühl live dabei zu sein. Über den Blick in die Kamera wird suggeriert, dass auch er gemeint ist und die Darsteller auch ihn "lieben". Wenn diese Schwelle überschritten ist, die Konsumenten also nicht mehr zwischen Fake und Realität unterscheiden, dann wird es gefährlich. Denn die Online-Sexsüchtigen suchen sich dann in der Internetpornographie ihr Surrogat, ihr Ersatzmittel für Bindungspersonen und Liebespartner.
Wer ist besonders betroffen? Gibt es eine bestimmte Altersklasse bzw. Zielgruppe?
Die Prävalenz, also die Krankheitshäufigkeit, liegt bei jungen Männern zwischen 17 bis 25 Jahren. ca. 17% der deutschen Männer konsumieren täglich Pornos, um die 500.000 Menschen in Deutschland sind Internet-sexsüchtig. Oft stehen die Betroffenen unter Stress, spüren sich unter hohem Leistungsdruck wenig – und nutzen das schnelle Online-Angebot zur körperlichen Entspannung. Oft sind die Online-Sexsüchtigen Opfer eines Perfektionszwanges – oder umgekehrt einer, u.U., desorganisierten Persönlichkeit. Es sind häufig diejenigen betroffen, die viel alleine sind und Angst bzw. Scham vor dem "Du" eines realen Liebespartners haben. Diese Sucht ist also meist ein Problem von Menschen, die unter Stress Beziehungen vermeiden.
Inwiefern grenzt sich die Online-Sexsucht zu anderen Süchten ab?
Die körperlichen Aspekte der Sucht können auch bei Online-Sexsüchtigen ausgeprägt sein – es überwiegen die physischen und relationalen Folgen. Manche Betroffene konsumieren viele Male am Tag Pornos und befriedigen sich dabei selbst. Dabei werden jedes Mal im Gehirn entspannende und betäubende Botenstoffe freigesetzt. Nach dem meist rituell ausgeprägten Konsum fühlen sich viele leer und enttäuscht. Das Problem bei der Online-Sexsucht: Die Betroffenen regulieren ihre Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit sowie Erregung und Erkundung nicht in realen Beziehungen und konditionieren sich bei Irritationen mit Porno-Konsum. Dabei sehen sie Bilder, die immer härter werden und Scham und Selbstvorwürfe auslösen.
Ab wann kann man von einer Sucht sprechen?
Wenn die Betroffenen bei Spannungen, Frust oder Konzentrationsschwierigkeiten beginnen, sich Pornoreize vorzustellen und danach wie unter Zwang zu suchen. Vor allem müssen diese Videos mit der Zeit immer reizvoller werden, die Bilder müssen extremer werden, damit die Betroffenen überhaupt die Orgasmus-Schwelle erreichen. Der Reiz des Verbotenen spielt natürlich auch eine Rolle, deswegen können Betroffene auch dazu verleitet werden, Videos und Bilder im Darknet mit tabuisierten oder besonders brutalen Praktiken zu konsumieren.
Wie wirkt sich die Online-Sexsucht auf die Beziehungsfähigkeit der Betroffenen bzw. auf Paarbeziehungen aus?
Betroffene Männer, die Hilfe suchen, berichten, dass sie in ihrer "normalen" Sexualität gestört sind, dass sie beim partnerschaftlichen Sex kaum oder keine Erektion bekommen. Zunehmend mehr Paare nutzen Pornos zur gemeinsamen Erregung oder schauen diese während des Liebesaktes an. Manche verlieren so die Lust auf partnerschaftliche Nähe und befriedigen sich lieber selbst. Die Partnerinnen fühlen sich nicht mehr begehrt oder geraten unter Druck die in Pornos üblichen Praktiken nachzumachen. Die feinen Nuancen des Spiels zwischen "Begehren-Verwähren-Gewähren" weichen dem schnellen Sex, in dem Personen zu Objekten mutieren.
Wie sieht die Behandlung/Therapie aus?
Das wichtigste ist, dass die Betroffenen selbst anerkennen, dass sie pornosüchtig sind. Nach diesem ersten, wichtigen Schritt folgt die Entscheidung für die Abstinenz. Abhängige distanzieren sich von Computer, Tablet und Smartphone, sodass sie keine Möglichkeit mehr haben, ins Internet zu gehen. Danach braucht es positive "analoge" Erfahrungen. Das kann etwa sein, sich in der Natur zu bewegen, den eigenen Körper zu fühlen, seine Bedürfnisse zu spüren. Dann folgt die Emotionsregulierung. Online-Sexsüchtige haben verlernt, ihre Spannungen und Verstimmungen ohne "Mittel" zu kontrollieren. Die Therapie wird durch Selbstbeobachtung, Stress-Regulations-Übungen, Entspannungsverfahren und die Selbstverstärkung, z.B. durch ein Tagebuch, begleitet, wo Erfolge notiert werden. Durch das tiefere Beobachten und Distanzieren lernen die Betroffenen, sich selbst zu kontrollieren und die Sexualität langsam als reiches Repertoire der Beziehungsgestaltung zu sehen.
Was ist das Schwierige an der Behandlung?
Dass es Phasen gibt, in denen sich die Betroffenen leer fühlen und nicht daran glauben, dass die neu erlernten Techniken richtig funktionieren. Das ist ähnlich wie beim Rauchen. Raucher sind konditioniert, dass mit der Zigarette Stress reduziert und Genuss und Ruhe erzeugt werden. Die Betroffenen müssen lernen, sich diese Konditionierung abzutrainieren – und bei Rückfällen nicht aufzugeben.
Inwiefern spielt Scham bei der Behandlung von Online-Sexsüchtigen eine Rolle?
"Eine sehr große, denn dieses Thema ist ein stark mit Scham besetztes. Es ist nie leicht, eine Sucht zuzugeben, viele schämen sich, dass sie es nicht schaffen sich im Griff zu haben. Viele Pornosüchtige haben, um Scham zu kompensieren und den negativen Gefühlen etwas entgegenzusetzen, wiederum nur Pornos. Ein schrecklicher Kreislauf entsteht.
Was kann man tun, um der Online-Sexsucht vorzubeugen?
Das Beste sind Beziehungen, die Sicherheit geben, in denen offen Gefühle geteilt und Bedürfnisse geäußert werden. Greift man zum Porno, muss klar bleiben, dass es sich dabei um das Vorgaukeln stereotyper Muster handelt, das auf Kosten benutzter und ausgebeuteter Darstellerinnen geht. Die berechnende Künstlichkeit gefakter Lust der Porno-Industrie sollte bewusst sein. Hilfreicher sind die eigene Phantasie und der Mut, sich in sexuellen Beziehungen als ganzer Mensch zu investieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kontakt:
EFL-Beratungsstelle Passau, Höllgasse 29, 94032 Passau. Tel.: 0851/34337 (8:30-12:30 Uhr). Internet: www.efl-passau.de. An der EFL-Beratungsstelle ist anonyme Beratung möglich. Bei Sexsucht oder Fragen in dieser Thematik bitte einen Platz beim Stellenleiter Helmut Höfl erfragen, mit dem Wunsch nach anonymer Beratung.

Der Online-Ambulanz-Service für Internetsüchtige (OASIS) bietet auf seiner Website einen Selbsttest für Angehörige und Betroffene zur Internetabhängigkeit an.