Experteninterview Drogen
Drogen und Suchtverhalten

Dr. med. Stefan Gutwinski ist Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charitéim St-Hedwig Krankenhaus in Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe Psychotrope Substanzen. Der Psychiater und Psychotherapeut betreut dort Menschen mit unterschiedlichen Suchterkrankungen. Im Interview mit der Beratungsstelle spricht er über die Auswirkungen von Drogenkonsum und räumt mit Vorurteilen auf.
Beratungsstelle: Mit welchem Drogen haben Sie am meisten zu tun?
Stefan Gutwinski: Die meisten Menschen, die wir hier behandeln haben Probleme mit den klassischen Substanzgruppen wie Alkohol, Kokain, Heroin, Benzodiazepine und Barbiturate, Amphetaminen und Cannabis. Generell kann gesagt werden, dass die Bedeutung dieser Drogen in der Bevölkerung in den letzten Jahren relativ gleichgeblieben ist. Der Cannabis-Konsum hat dagegen in den letzten Jahren zugenommen, auch kommen immer wieder neue psychoaktive Substanzen hinzu, mit denen wir bisher wenig zu tun hatten.
Warum nehmen Menschen Drogen? Haben sich die Motive im Laufe der Zeit geändert?
Ich würde sagen, die Motive sind weitestgehend gleichgeblieben. Für manche Menschen ist der Drogenkonsum eine Art Selbsttherapie, aufgrund belastender Lebensereignisse. Für andere sind es Neugier oder sind Alltags bedingte Verhaltensweisen, aus denen der Drogenkonsum hervorgeht. Beim Cannabis-Konsum hat sich die Hemmschwelle zur Einnahme in der breiten Bevölkerung vermutlich bei vielen Menschen verringert. Denn dafür, dass Cannabis noch eine relativ junge Droge ist, konsumieren sie relativ viele Menschen. Das mag daran liegen, weil die Risiken für die meisten Menschen abschätzbar zu sein scheinen, und mittlerweile fast jeder jemanden kennt, der Cannabis konsumiert.
Gibt es Einstiegsdrogen?
Dass Cannabis als Einstiegsdroge fungiert, konnte wissenschaftlich nicht bewiesen werden. Menschen, die Drogen konsumieren, fangen häufiger mit Cannabis an, aber nicht alle Menschen, die Cannabis nehmen, konsumieren automatisch andere Drogen. Generell ist es so, dass ein einmaliger Konsum von Drogen, wie es viele Menschen machen, nicht automatisch bedeutet, dass man abhängig wird. Ausnahmen gibt es, wie beispielsweise bei Heroin, denn hier zeigt sich, dass auch schon ein einzelner Konsum in eine Abhängigkeit führen kann. Bei fast alle anderen Drogen ist es eher ein Prozess von mindesten Wochen, Monaten oder Jahren, bis eine Abhängigkeit entwickelt werden kann. Der sporadische Einzelkonsum von den meisten Substanzen endet hingegen bei den meisten Menschen nicht in einer Abhängigkeit.
Welche langfristen Folgen hat Drogenkonsum?
Beim Konsum von psychoaktiven Substanzen ist vor allem der Dauerkonsum ein Problem. Der Einzelkonsum von vielen als Drogen bezeichneten Substanzen in einer gängigen, also nicht zu starken oder verunreinigten Dosierung, verursacht vermutlich bei den meisten Substanzen bei sonst gesunden Erwachsenen keine dauerhaften Schäden. Wer einmal ein halbes Gramm Cannabis konsumiert, wird dadurch sehr wahrscheinlich keine lebenslangen schädlichen Auswirkungen haben. Gefährlich ist bei allen Substanzen der Dauerkonsum und wenn es von Kindern, Jugendlichen oder Menschen mit seelischen Erkrankungen konsumiert wird. Entscheidend für die Art der körperlichen Auswirkungen ist dabei auch die Art der Zuführung der Substanz. Cannabis wird in der Regel inhaliert – erhöhte Raten von Lungenschäden sind dann beispielsweise die Folge. Beim Dauerkonsum von Alkohol wird die Speiseröhre und die Bauchspeicheldrüse und viele andere Organe geschädigt. Bei Heroin sind es vor allem die Verunreinigungen und Infektionserkrankungen durch Injektionen, die besonders gefährlich sind. Zusätzlich haben fast alle Subtanzen spezifische sekundäre Folgen. Daneben gibt es auch psychische Auswirkungen. Cannabis-Konsum kann bei Menschen die Wahrscheinlichkeit für Psychosen erhöhen. Rauchen Kinder oder Jugendliche regelmäßig Cannabis, hat das vermutlich Auswirkungen auf die Gesundheit und langfristig auch auf die Intelligenzleistung.
Wie viel Prozent der Studierenden nehmen Ihrer Erfahrung nach Drogen bzw. haben schon Drogen genommen?
Der Drogenkonsum unter Studierenden entspricht ungefähr dem Bevölkerungsdurchschnitt. Das heißt, dass etwa ein Viertel aller Studierenden schon mal Kontakt mit Drogen hatte.
Wie unterscheidet sich der Drogenkonsum von Studierenden zu anderen Berufsgruppen?
Es gibt nur geringe Verschiebungen im Vergleich zum Drogenkonsum im Bevölkerungsdurchschnitt. Der Heroinkonsum ist zum Beispiel niedriger, dafür ist der Cannabis-Konsum etwas höher, als in anderen Gesellschaftsgruppen.
Welche Rolle spielen leistungssteigernde Drogen bei Studierenden und welche gibt es?
Wir beobachten eine langsam zunehmende Verschreibung von Amphetaminderivaten wie Ritalin, die für die Behandlung von ADHS verwendet werden. Im Bereich, indem Substanzen zur Leistungssteigerung genommen werden, werden solche Medikamente, die die Konzentration fördern oder auch schlafanstoßende Subtanzen, damit man schneller einschläft und leistungsfähig bleibt, eingesetzt. Ob dies dann wirklich zu einer Leistungssteigerung führt, vor allem dauerhaft, ist bei sonst gesunden Erwachsen vermutlich gar nicht gegeben.
Können diese Substanzen abhängig machen?
Vermutlich bei einigen Personen schon, auch wird diskutiert, ob der Konsum von leistungssteigernden Substanzen die Schwelle für andere Abhängigkeitserkrankungen vermindert. Eine andere Frage, die bei der Diskussion gestellt werden sollte, ist, ob es gerecht gegenüber anderen Kommilitonen ist, unter Substanzeinfluss Prüfungen zu schreiben. Es ist auch eine kulturelle Frage, ob wir das maximale an Leistung unser Gesellschaft nur unter Drogeneinfluss erreichen können. Und oft ist genau dieser Grund der Substanzeinnahme zu berücksichtigen, denn eigentlich ist es Ausdruck einer großen Not, wenn jemand Substanzen einnehmen muss, damit er oder sie Prüfungen besteht. Der direkte oder indirekte Druck der etwa von zu Hause kommt, muss extrem groß sein. Diese Debatte hat aber noch sehr viele weitere Facetten mit philosophischen und soziologischen Aspekten – das würde hier den Rahmen sprengen.
Wie sieht eine erfolgreiche Therapie heute aus?
Bei einer Therapie muss man sich zunächst klarmachen, dass Rückfälle zum Therapieprozess dazu gehören, denn sie sind ein Lernprozess. Suchttherapie kann generell nur erfolgreich sein, wenn wir das individuelle Risiko der Patienten verstehen und die Bereitschaft und die Not des Patienten, die Substanz abzusetzen, in die Therapie integriert. Wenn jemand in Behandlung kommt, der beispielsweise aus einem gewalttätigen Elternhaus kommt und der in einem Kinderheim groß geworden ist und aus nachvollziehbaren Gründen täglich Alkohol konsumiert hat, dann macht es Sinn diese individuellen Aspekte zu verstehen, aber gleichzeitig zu vermitteln, warum die Sucht und der Konsum trotzdem langfristig nicht hilfreich sind.
Vielen Dank für das Gespräch!