Experteninterview Depressionen
Jens Molthan ist niedergelassener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Passau. Im Interview mit der Beratungsstelle spricht er über häufige Ursachen von Depressionen und wie man sie vermeiden kann.
Was ist eine Depression?
Symptome einer Depression sind vor allem gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsverminderung, Verminderung von Energie, erhöhte Ermüdbarkeit und oft auch Appetiteinschränkungen. Manchmal treten auch Suizidgedanken auf, im schlimmsten Fall nimmt sich ein Erkrankter das Leben. Eine pessimistische Zukunftsperspektive, das Gefühl von Wertlosigkeit und ein vermindertes Selbstwertgefühl gehören ebenfalls zur Symptomatik. Häufig kommen kognitive Einschränkungen wie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen hinzu. Ein Teil der Erkrankten klagt auch über körperliche Symptome, wie zum Beispiel Bauchschmerzen, Engegefühl in der Brust, Kloßgefühl im Hals oder Kopfschmerzen.
Was sind häufige Ursachen für Depressionen?
Oft sind mehrere Faktoren Auslöser. Zum einen gibt es Depressionen, die durch Ereignisse von außen hervorgerufen werden, wie etwa durch bestimmte Lebenssituationen, Schicksalsschläge oder Arbeits- und Studiensituation. Dabei müssen nicht immer besondere Umstände auftreten, manchmal kann auch die Summe der Belastungen einfach zu viel werden. Ein Burn-Out kann neben der hohen Arbeitsbelastung zum Beispiel auch noch durch andere Faktoren wie einer belastenden Familien- oder Partnerschaftssituation begünstigt werden. Zum anderen gibt es bei einem Teil der Erkrankten auch eine genetische Veranlagung. Zudem können auch anerzogene Denkmuster und die Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen eine Rolle spielen.
Wer ist besonders häufig von Depressionen betroffen?
Depressionen und Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen. Im Lauf des Lebens entwickeln, je nach Erhebung, jeder 3. bis 10. eine Depression, die meisten Untersuchungen gehen von ca. jedem 5. aus. Statistisch gesehen ist der Frauenanteil höher, wobei Frauen nach meiner Erfahrung auch leichter Hilfe in Anspruch nehmen und nach einigen Untersuchungen der Männeranteil steigt. Von der Altersstruktur her sind oft Menschen über 50 betroffen. Depressionen können jedoch in jeder Altersklasse auftreten. So fand die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) bei der direkten persönlichen diagnostischen Untersuchung, dass über 15 % Frauen im Alter von 18 bis 34 Jahren die Kriterien für eine Depression erfüllten
Was ist der Unterschied zwischen einer Depression und einer Anpassungsstörung?
Die Anpassungsstörung ist eine psychische Reaktion auf psychosoziale Belastungsfaktoren. Wenn jemand zum Beispiel ein Studium anfängt und dann aufgrund mehrerer Faktoren – Verlust des alten Freundeskreises, höherer Anforderungen und Nichtzurechtkommen mit der neuen Umgebung – eine psychische Störung entwickelt, wird diese Symptomatik erstmal als Anpassungsstörung eingeordnet. Die kann eine depressive Reaktion sein, aber zum Beispiel auch eine Angstreaktion. Wenn diese Symptomatik nicht in kurzer Zeit wieder abklingt oder Suizidgedanken auftauchen, die soziale Funktion oder berufliche Funktionen oder Studierfähigkeit gefährdet ist, dann empfehle ich Hilfe zu suchen. Eine Depression ist schließlich das Anhalten von den anfangs genannten Symptomen über mindestens 2 Wochen. Der Schweregrad einer Depression wird nach der Art und Anzahl der Symptome klassifiziert.
Welche Therapieformen gibt es?
Grundsätzlich kann man zwischen Psychotherapie und medikamentöser Therapie unterscheiden. Medikamentöse Therapien dürfen nur Ärzte verschreiben; der Großteil von Antidepressiva wird nicht durch Psychiater, sondern durch Hausärzte verschrieben. Das liegt auch an der zu geringen Verfügbarkeit entsprechender Fachärzte und langer Wartezeiten auf einen Termin. Beratung und zum Teil auch Psychotherapie erfolgt durch Beratungsstellen, wie der psychologische Beratungsstelle an der Uni, dem sozialpsychiatrischen Dienst (in Passau bei der Diakonie angesiedelt), der Caritas oder anderen Institutionen. Innerhalb des Gesundheitssystems erfolgt die Therapie im ambulanten Bereich durch psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie oder Fachärzte für psychosomatische Medizin und auch z.B., wenn ärztlich verordnet, spezialisierten Ergotherapeuten oder Pflegediensten. In Deutschland sind in der ambulanten Versorgung sowohl die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie, zukünftig auch die systemische Therapie zugelassen und werden von den Krankenkassen erstattet.
Neben den ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ist auch eine stationäre oder tagesklinische Behandlung in psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken möglich. Auch andere biologische Behandlungsverfahren, wie Schlafentzugstherapie, Lichttherapie, transkranielle Magnetstimmulation bis zur Elektrokrampftherapie können in der Behandlung eine Rolle spielen und werden vor allem durch Kliniken begonnen und durchgeführt. Der Zugang dazu erfolgt gewöhnlich über Haus- und Fachärzte oder Psychotherapeuten. Oft sind die Hausärzte die ersten Ansprechpartner bei psychischen Problemen.
Was sind Probleme bei einer Therapie?
Ein großes Problem ist die zu geringe Verfügbarkeit und die langen Wartezeiten bei den meisten an der Versorgung psychisch Kranker beteiligten Stellen. Auch ist es für den Betroffenen nicht immer leicht, die richtige, und für ihn passende Behandlungsmöglichkeit zu finden, da zum Beispiel der erste Termin beim Psychiater nicht ganz schnell zu bekommen ist. Dabei kann ein Psychiater einerseits eine fachgerechte Diagnostik durchführen als auch über die Behandlungsmöglichkeiten aufklären, kennt die an der Versorgung beteiligten Personen und Institutionen vor Ort und kann auch selbst sowohl psychotherapeutisch als auch medizinisch behandeln. Auch Psychotherapeuten können die Indikation für Psychotherapie oder andere Behandlungsformen z.B. im Rahmen der psychotherapeutischen Notfallsprechstunden stellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der Begriff Psychotherapie nicht geschützt ist und deshalb nicht nur Ärzte und Psychologen mit entsprechender Klassifikation, sondern ganz unterschiedliche Behandler mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen unter dieser Bezeichnung firmieren und Ausbildung und Behandlung nicht immer wissenschaftlichen Kriterien standhält.
In der Behandlung können unterschiedliche Probleme auftreten, wie mangelnde Wirkung oder auch Nebenwirkungen aller möglichen Therapieform (auch Psychotherapie kann Nebenwirkungen haben), die Therapie ist dann zu Verändern oder Anzupassen. Leider setzt die Wirkung der meisten Therapien nicht sofort ein, so dass Geduld bei Betroffenen und Angehörigen gefordert ist.
Wie schützt man sich am besten vor einer Depression?
Wichtig sind eine gute Work-Life-Balance und ein gutes soziales Netz. Auch ist es sicher sinnvoll auf Anzeichen einer beginnenden Depression zu achten, und sich dann gegebenenfalls zu überlegen, ob man selbst Gegenmaßnahmen ergreifen kann, oder gleich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Das Ignorieren erster Anzeichen einer psychischen Erkrankung ist sicherlich eine große Gefahr, der selbst Experten unterliegen, nach dem Motto: „sowas passiert mir doch nicht.“
Wenn man jemanden kennt, der depressiv ist, wie geht man mit diesen Menschen am besten um?
Wenn man bemerkt, dass jemand depressiv sein könnte, würde ich sie oder ihn auf meine Beobachtung ansprechen, wenn die Beziehung zum Betroffenen das erlaubt. Grundsätzlich ist es den meisten psychisch Kranken am liebsten, wenn sie ganz normal behandelt werden. Es gibt Menschen, die gehen mit ihrer Erkrankung sehr offen um und andere nicht. Bei Letzteren muss man das akzeptieren. Wenn Betroffene Hilfe annehmen, dann kann es nützlich sein, sie zu aktivieren und anzustoßen und damit zu helfen. Das geht immer nur mit Fingerspitzengefühl und in Absprache mit den Betroffenen. Wenn ein Außenstehender merkt, dass es einem Freund oder dem Partner nicht gut geht und dass etwas nicht stimmt, dann kann man das ruhig ansprechen und schauen wie die Person reagiert. In seltenen Fällen, wie akuter Suizidalität, kann es auch erforderlich sein, das Angehörige oder Freunde sich direkt an einen Behandler, eine Ambulanz oder Klinik oder den ärztlichen Notdienst wenden.
Ist Depression heute eine Volkskrankheit?
Depressionen sind, wie schon oben ausgeführt, sehr häufige Erkrankungen. Die Statistiken der Krankenkassen belegen eine deutliche Zunahme der Diagnosen von Depressionen in ihren Statistiken und auch eine Zunahme der Krankheitstage aufgrund dieser Diagnosen. Hier sind psychische Erkrankungen und darunter vor allem depressive Erkrankungen führend. Epidemiologische Studien zeigen oft keine gravierende Zunahme aber auch einen hohen Anteil depressiver Erkrankungen in der Bevölkerung. Deshalb kann man sicher zurecht über eine Volkskrankheit sprechen. Dass die depressiven Erkrankungen und auch andere psychische Erkrankungen mehr in den Focus der Öffentlichkeit gelangt, ist für eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen sehr wichtig, dadurch steigt auch die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen und entsprechende Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Zu wünschen wäre, das Gesundheitssystem und auch komplementäre Hilfssysteme dem gestiegenen Bedarf anzupassen. Auch sind präventive Angebote aus meiner Sicht auszubauen und behebbare häufige Ursachen psychischer Erkrankungen, wie zum Beispiel übermäßiger Stress in der Ausbildung und im Arbeitsleben oder ständige Überforderung, abzubauen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Tim Ende.