ZfS: Frau Gisevius, Sie haben Kulturwissenschaft in Lüneburg und Texas studiert und besitzen das „Intercultural Professional Certificate“ des Intercultural Communication Institute in Portland. Was hat bei Ihnen zu der Leidenschaft für Kultur und kulturelle Unterschiede geführt?
Annette Gisevius: Ganz ursprünglich einmal das Nicht-Verstehen und die Verwirrung. Eine meiner ersten interkulturellen Erfahrungen war ein Schüleraustausch nach Tacoma/Washington. Als Teenager hatte ich nicht erwartet, dass es viele kulturelle Unterschiede gibt – und kam aber immer wieder in neue Situationen, die ich mir nicht erklären konnte. Danach folgten Einsätze als Freiwillige in Ghana, Costa Rica, Grönland und vielen anderen Orten. Und je mehr ich kennenlernte, um so mehr war mir klar, was es alles noch zu entdecken und verstehen gibt. Das ist bis heute so geblieben – auch in Ländern, in denen ich schon oft beruflich oder privat gewesen bin.
ZfS: Wie könnte es Donald Trump, dem Kandidaten, der im Wahlkampf durch rassistische und frauenfeindliche Aussagen aufgefallen ist, gelingen, die kulturelle Spaltung in den USA zu verringern?
Gisevius: Vieles wird davon abhängen, wie ähnlich sich der „Wahlkämpfer Trump“ und der „Präsident Trump“ sein werden. In einigen der aktuellen Videobotschaften und Interviews hat er moderatere Töne angeschlagen, die die Hoffnung wecken, dass er einige seiner Wahlkampfaussagen nicht 1:1 umsetzen will. Vieles wird aber auch davon abhängen, wen er in wichtige Posten beruft, und wie diese dann ihre Position ausfüllen.
ZfS: Für viele Deutsche erscheint der schillernde und bunte Wahlkampf in den USA eher unsachlich und überzogen. Woran liegt es, dass der Wahlkampf in Deutschland und den USA so verschieden geführt wird? Welche Rolle spielt dabei Kultur?
Gisevius: Die ganz andere Art der Führung des Wahlkampfs liegt zum einen in der Historie des Wahlsystems. Dazu gehören das „winner-takes-it-all-Prinzip“ der Wahlmänner, die Bedeutung der Swing States, die Rolle der ehrenamtlichen Wahlhelfer und die Finanzierung des Wahlkampfes. Kulturelle Aspekte sehe ich vor allem in US-amerikanischen Werten wie Individualismus sowie Leistungs- und Handlungsorientierung. Sich als „Macher“ darzustellen, der sich von ganz unten hochgearbeitet hat, entspricht dem US-amerikanischen Traum – und das hat Trump in die Hände gespielt. Dass Wahlkampfveranstaltungen aus unserer Sicht oft schillernd umgesetzt werden, liegt teilweise auch in der stärkeren Vermischung von Entertainment und der Vermittlung von Fakten.
ZfS: Was sind die häufigsten Fettnäpfchen, in die Deutsche im Umgang mit Amerikanern treten? Können Sie konkrete Beispiele geben?
Gisevius: Die größte Herausforderung ist, keine Herausforderungen zu erwarten. Oft gehen Deutsche davon aus, dass US-Amerikaner „so ähnlich sind wie wir“. Aber die Globalisierung, ähnliche Produkte und Serien täuschen darüber hinweg, dass die dahinterliegenden Werte wie Religiosität, Umgang mit dem eigenen Körper, Umgang mit Leistung, Freundlichkeit etc. sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Besonders im Umgang mit US-Amerikanern in ländlichen Gebieten in den Südstaaten können freundlich-interessiert gemeinte Nachfragen zu Waffengesetzen, Politik oder Umgang mit Homosexualität heiße Eisen sein. Politik ist oft kein klassisches Smalltalk-Thema wie in Deutschland.
ZfS: Was lernen Studierende in Ihrem Seminar?
Gisevius: Ein wichtiges Augenmerk richtet sich auf kulturelle Werte und ihre historischen Wurzeln. Neben den Mainstream-Werten geht es auch um alternative Perspektiven z.B. im ökologischen Bereich. Außerdem stehen Unterschiede im Kommunikationsstil und bei Präsentationen im Mittelpunkt.
ZfS: Was wünschen Sie sich für Ihr Seminar?
Gisevius: Für mich ist ein Seminar dann besonders spannend, wenn die Studierenden viele eigene Erfahrungen beitragen und sich darüber austauschen. Und meine eigene Neugier an „dem anderen“ wünsche ich mir auch von den Studierenden.
ZfS: Vielen Dank für das Gespräch!