Die größte Herausforderung sah Tobias Winkler in der Migrationspolitik. Wenn es der EU noch vor der Wahl gelänge, hier einen überzeugenden Lösungsweg vorzuschlagen, gäbe es eine gute Chance, den europaskeptischen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hierfür müssten sich alle demokratischen Kräfte einsetzen, denn es gelte zu verhindern, dass diese Kräfte die europäische Demokratie zerstörten.
Dabei warb er für neue Wege in der Migrationspolitik: Die EU müsse illegale Migration unterbinden, könne aber auch nicht alle Menschen aufnehmen, die begründeten Anspruch auf Asyl haben und sich dafür auf einen lebensbedrohlichen Weg machen müssen. Ein möglicher neuer Ansatz sei, Flüchtlinge in stabilen Ländern in der Nachbarschaft zu den Staaten unterzubringen, aus denen sie geflohen sind. Die EU müsste dafür die finanzielle Verantwortung übernehmen und eventuell gemeinsam mit den Vereinten Nationen dafür sorgen, dass bei der Unterbringung die Grund- und Menschenrechte eingehalten werden. Die Studierenden wandten dagegen ein, dass die EU derzeit die Einhaltung von Mindeststandards bei der Unterbringung von Flüchtlingen nicht mal in ihren Mitgliedstaaten garantieren könne.
Angesprochen auf das außenpolitische Handeln der EU sah Tobias Winkler die größte Schwierigkeit in den unterschiedlichen Positionen der nationalen Regierungen zu den aktuellen Krisen. So sei es aus heutiger Perspektive ein Fehler gewesen, dass Deutschland sich trotz verschiedener Warnungen zu sehr abhängig von russischem Gas gemacht habe. Auch die Ansätze der Mitgliedstaaten zur Verringerung der Abhängigkeiten seien sehr unterschiedlich. In institutionellen Reformen sah er keine kurzfristige Lösung, sondern warb für konkrete Projekte, mit denen eine Avantgarde integrationswilliger Staaten jeweils voran gehen solle. Die Stärke des Europäischen Binnenmarktes hab sich in der Frage der Energieversorgung gezeigt, denn nur über gesamteuropäische Energienetze hätten sich die Mitgliedstaaten gegenseitig Solidarität leisten können. Diese Infrastruktur müsse jedoch weiter ausgebaut werden.
Oliver Hänsgen vom Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments stellte die Aktivitäten des Parlaments vor, um Bürgerinnen und Bürger über die kommende Wahl zu informieren. Erstmalig dürften bei der Europawahl 2024 in Deutschland Unionsbürgerinnen und -bürger bereits ab 16 Jahren wählen. Gerade die neuen Wählerinnen und Wähler über ihr Recht zu informieren, sei eine wichtige Aufgabe bis Juni kommenden Jahres. Wer sich so aktiv für die Stärkung der Demokratie engagieren wolle, könne dies im Rahmen der Kampagne gemeinsamfuer.eu tun. Hier könne jeder Teil einer Gemeinschaft von Menschen werden, die zutiefst von der Demokratie überzeugt seien und der Demokratie bei der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament noch mehr Bedeutung verleihen möchten.
Weitere Themen des Gespräches waren die Kapitalverkehrsfreizügigkeit und die Digitalisierung. Julian Plottka, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik an der Universität Passau, schloss, dass die Breite der von den Studierenden angesprochenen Themen zeige, wie wichtig die kommende Europawahl sei. „Alle sind aufgerufen, nicht nur wählen zu gehen, sondern auch unter Freunden und Bekannten für eine Wahlteilnahme zu werben“, so Plottka.