Prof. Dr. Ernst Strucks Abschiedsvortrag als Professor der Universität Passau ist zugleich Auftakt eines Formats, das die Universität Passau zusammen mit dem Neuburger Gesprächskreis organisiert und die sich an eine breite Öffentlichkeit richtet: "Wissenschaft trifft Praxis". In der Veranstaltungsreihe beschäftigen sich jeweils eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler und ein Praktiker aus ihrer Perspektive mit demselben Thema und treten anschließend in Diskussion miteinander.
An diesem Abend trifft der Anthropogeograph Struck, der sich seit Anfang April 2017 im Ruhestand befindet, aber weiterhin an der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul lehrt, auf den Journalisten und ehemaligen Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks Sigmund Gottlieb. Das Thema: "Die Welt aus den Fugen".
Einfache Wahrheiten versus wissenschaftliche Erkenntnis
Die Leinwand zeigt das Bild eines Risses im Erdmantel, den Prof. Dr. Struck mit Hilfe von Tektonik erläutert: Das Bild stamme aus Island, das an der Grenze zwischen der nordamerikanischen und eurasischen Kontinentalplatte liegt. Ein geologischer Hotspot befördere hier besonders viel Magma aus dem Erdinneren an die Oberfläche. "Mit solchen Verwerfungen gehen wir rational um", konstatiert Struck. "Ganz im Gegensatz zu politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen". Besonders in jüngster Zeit beobachte er, dass sich viele Menschen in einer zunehmend komplexeren Welt verstärkt "einfachen Wahrheiten" zuwenden.
Der Wissenschaftler setzt diesen einfachen Wahrheiten wissenschaftliche Erkenntnis entgegen. Diese sei das Ergebnis eines methodischen Prozesses, „der in allen Schritten und Details überprüfbar oder im Laborversuch wiederholbar ist. Die Thesen würden der kritischen Reflexion durch die Fachgemeinschaft unterzogen. Es gilt die Regel: "Eine Aussage ist so lange richtig, wie kein Gegenbeweis gefunden wurde."
In Zeiten von komplexen Problemen und einfachen Wahrheiten sei die Wissenschaft gefordert, so Struck. Nur sie könne "weitgehend gesicherte, verlässliche Antworten geben". Eine besondere Rolle spiele hier sein eigenes Fach: "Geographisches Wissen ist eine gute Grundlage für die Erklärung der Welt." Doch die Wissenschaft hätte Schwierigkeiten, gehört werden, insbesondere von den Medien. Diese würden "immer weniger recherchieren, Fakten kaum noch prüfen und immer weniger auf die Wissenschaft setzen", kritisiert Struck.
Gottlieb hält Medien für gefordert
Sigmund Gottlieb, viele Jahre Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Honorarprofessor für das Fachgebiet Journalismus an der Hochschule Amberg-Weiden, setzt dem Wissenschaftler Struck in seinem Vortrag die Perspektive des Praktikers entgegen. Sind die Medien überfordert? Diese Frage versucht Gottlieb anhand einer Reihe von Beispielen aus der journalistischen Berichterstattung der jüngsten Zeit zu beantworten: Flüchtlingskrise, Europa, Brexit, Trump.
Besonders der Umgang mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die britische Entscheidung für einen Austritt aus der Europäischen Union hätten gezeigt: Auf erfolgte Fehleinschätzung folge "unsere tägliche Ration des Immer-Schlimmerismus". Journalistinnen und Journalisten würden an einem "Trump-Tunnelblick" leiden: "Donald Trump ist in vielen Medien zu einem eigenen Ressort geworden" – ein Halbsatz Trumps werde wichtiger eingestuft als viele bedeutendere Nachrichten. Bei der Berichterstattung sei das rechte Maß verloren gegangen. Dabei sei guter Journalismus heute wichtiger denn je. Dazu aber braucht es Wissen. Denn Wissen helfe, die Welt zu erklären und zu verstehen.
Wissenschaft hilft, Medien richtig einzuordnen
Wissenschaft trifft Praxis. Präsidentin Prof. Dr. Jungwirth zeigt sich beeindruckt von beiden Vorträgen und dem gelungenen Wechsel der Perspektiven. Sie dankt Ernst Struck für seine klare Darstellung der grundlegenden wissenschaftlichen Methodik. Allerdings stelle sich nach den Ausführungen von Sigmund Gottlieb die Frage, wie die Wissenschaft dem Journalismus und seinen Mechanismen etwas entgegen halten könne.
Die Antwort, die Jungwirth aus der Gegenüberstellung von Wissenschaft und Praxis, Anthropogeographie und Journalismus ableitet, lautet: Gerade die Wissenschaft und ihre Methoden böten das nötige Werkzeug, um die Informationen der Medien richtig einordnen und verwerten zu können. Dies sei eine Kompetenz, die an der Universität und in der Schule vermittelt werden müsse – in allen Fachbereichen, aber besonders bei der Ausbildung künftiger Lehrerinnen und Lehrer sowie Journalistinnen und Journalisten.
Über Professor Dr. Ernst Struck
Präsidentin Prof. Dr. Carola Jungwirth würdigt Prof. Dr. Ernst Struck in ihrer Rede für sein außerordentliches Engagement und seinen "vehementen Gestaltungswillen".
Geboren am 14. August 1951 im Ruhrgebiet, beendete Struck 1979 sein Lehramtsstudium in Düsseldorf mit der ersten Staatsprüfung, um als Stipendiat der Stiftung des Deutschen Volkes in Geografie zu promovieren. Seine Dissertation über die Landflucht in der Türkei schloss er 1984 in Düsseldorf ab und begründete damit die wissenschaftliche Reihe der "Passauer Schriften zur Geografie", denn seit 1982 war er an der Universität Passau als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Auch in seiner Habilitation analysierte er Siedlungsbewegungen und -strukturen, diesmal allerdings in Brasilien. 1991 wurde ihm dafür die Venia Legendi für das Fach Geographie verliehen.
Im Jahr 1994 folgte Struck dem Ruf auf eine Professur für Wirtschaftsgeographie an die Universität Würzburg. Nach zahlreichen Forschungsprojekten und einer Tätigkeit als geschäftsführender Leiter des Geografischen Instituts der Universität Würzburg nahm er im Jahr 2000 den Ruf auf den Lehrstuhl für Anthropogeographie an der Universität Passau an. Er wurde Mitherausgeber der Passauer Schriften zur Geographie und Präsidiumsmitglied von GeoComPass, der Geographischen Gesellschaft Passau.
Neben weiteren Forschungsprojekten und ehrenamtlichen Tätigkeiten in und außerhalb der Universität Passaus war er von 2004 bis 2006 Dekan der Philosophischen Fakultät und von 2006 bis 2011 Vizepräsident für Studium und Lehre der Universität Passau.
Die Präsidentin dankt Prof. Dr. Ernst Struck für seine "Bereitschaft, Dinge klar beim Namen zu nennen und für Ihre Unerschrockenheit und Durchsetzungsfähigkeit, beim Angehen großer Projekte", zu denen unter anderem die Gründung des Zentrums für Schlüsselqualifikationen und des Graduiertenzentrums der Universität Passau gehörten. Damit habe dieser wesentlich dazu beigetragen, die Universität Passau zukunftsfähig zu machen.