Fachdidaktik
11. Les langues d'origine comme atout en classe de FLE: Herkunftssprachen im Französischunterricht
Den Ergebnissen des Mikrozensus 2021 zufolge besitzt knapp ein Drittel der in Deutschland lebenden Bevölkerung einen Migrationshintergrund (vgl. Ministerium für Migration und Flüchtlinge 2022, 15) und die meisten von ihnen werden auch in der/den Erstsprache/n ihrer Eltern sozialisiert (vgl. Brüser/Wojatzke 2013, 121). Es ist somit davon auszugehen, dass viele Lernende mit Kenntnissen und Erfahrungen in mindestens einer weiteren, für ihre Identität bedeutsamen Sprache (vgl. u.a. Göbel et al. 2010, 102; Schöpp 2015, 161; Brehmer/Mehlhorn 2018, 64) – neben dem Deutschen und vorgelernten Schulfremdsprachen – den Französischunterricht beginnen. Damit das individuelle Repertoire der sprachlichen und kulturellen Vorkenntnisse mit der neuen Fremdsprache Französisch lernökonomisch und bereichernd genutzt werden kann, bedarf es der kompetenten Anleitung durch die Lehrkraft (vgl. u.a. Şahingöz 2014, 188; Kropp 2015, 177; Bredthauer 2021, 137; Haberland 2022, 149). Der systematische Einbezug kann für Herkunftssprecher/innen sowohl eine Lernerleichterung in verschiedenen sprachlichen Bereichen – z.B. Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Pragmatik – bewirken (vgl. u.a. Ender 2007, 205; Koch 2020, 261; Kropp, Müller-Lancé/Eibensteiner 2022, 83) als auch Motivation durch Selbstwirksamkeit (vgl. z.B. Rück 2009, 148; Gürel 2017, 117; Mehlhorn 2017, 51) sowie eine generell bestärkende Wertschätzung des eigenen sprachlich-kulturellen Kapitals (vgl. u.a. Elsner 2010, 114; Siems/Granados 2014, 32; Tracy 2014, 29). Letzteres bietet im Hinblick auf strukturelle Parallelen zur Zielsprache Französisch die Möglichkeit zu einem ‚Zusammenfluss‘ vorhandener Kompetenzen und neuer Inhalte (vgl. Koch 2023, 127). Lernende, die keine Herkunftssprachen mitbringen, profitieren von der Thematik ebenfalls im Sinne eines Éveil aux langues (vgl. Candelier et al. 2009, 5; Klotz 2015, 36, Candelier 2020, 258) und wünschen sich diesen sogar explizit (vgl. Bredthauer/Engfer 2018, 12). Diversen Erhebungen zufolge erfolgt jedoch ein solcher Rückgriff auf vorhandene Herkunftssprachen trotz einer grundsätzlich positiven Einstellung der Lehrkräfte bisher kaum, wofür selbige neben der Sorge vor "lernhinderlichen Interferenzen" (Heyder/Schädlich 2014, 189) vor allem fehlende eigene Kenntnisse in den Herkunftssprachen und unzureichende unterrichtspraktische Konzepte und Materialien anführen (vgl. u.a. Bredthauer/Engfer 2018, 8; Reimann/Cantone 2021, 32; Melo-Pfeifer/von Rosen 2021, 7f.).
Die Sektion möchte sich diesen Desideraten annehmen, um Grundlagen für eine zielführende Einbindung herkunftssprachlicher Mehrsprachigkeit in den Französischunterricht zu schaffen.
Es sind sowohl empirische als auch hermeneutisch-konzeptionelle Beiträge zu den folgenden (und weiteren) Aspekten des Themas willkommen:
- Welche Arten von konkreten vergleichenden Analysen sprachlicher Strukturen häufiger Herkunftssprachen (z.B. Türkisch, Russisch, Arabisch und Polnisch; vgl. Statistisches Bundesamt 2023) mit dem Französischen können Lehrkräften in alltagstauglicher Form zur Verfügung gestellt werden?
- Welche unterrichtspraktischen Konzepte und Materialien (in analoger und/oder digitaler Form) können in Bezug auf verschiedene sprachliche Ebenen dem Rückgriff auf Herkunftssprachen im Französischunterricht dienlich sein?
- Wie können herkunftssprachendidaktische Ansätze aus der frankophonen Zweitsprachdidaktik (vgl. u. a. Levet, Soare/Zribi-Hertz 2021; Lamy de La Chapelle/Garcia-Debanc 2022) auf den Fremdsprachenunterricht übertragen werden?
- Wie können anhand dieser und weiterer Elemente (zukünftige) Französischlehrkräfte im Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung hinsichtlich des Einbezugs von Herkunftssprachen ermuntert und für diesen professionalisiert werden?
- Wie können Erfahrungen der Lernenden mit ihren Herkunftskulturen im Französischunterricht aufgegriffen und Verbindungen zum frankophonen Raum hergestellt werden?
Bibliographie
- Bredthauer, Stefanie. 2021. "'Mir war nicht bewusst, welches Potenzial Mehrsprachigkeit für Sprachlernprozesse hat' – Zur Anbahnung mehrsprachigkeitsdidaktischer Kompetenzen in der Lehramtsausbildung". In: Isabelle Mordellet-Roggenbuck/Markus Raith/Katja Zaki (eds.). Mehrsprachigkeit in der Lehrerbildung: Modelle, Konzepte und empirische Befunde für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik. Berlin et al.: Lang, 137–156.
- Bredthauer, Stefanie/Engfer, Hilke. 2018. "Natürlich ist Mehrsprachigkeit toll! Aber was hat das mit meinem Unterricht zu tun?" edu-pub: das Kölner Open-Access-Portal für die LehrerInnenbildung, kups.ub.uni-koeln.de/8092/.
- Brehmer, Bernhard/Mehlhorn, Grit. 2018. Herkunftssprachen. Tübingen: Narr Francke Attempto.
- Brüser, Babett/Wojatzke, Julia. 2013. "Das Türkische als 'Brücke' zum Wortschatzerwerb im Französischen: Eine empirische Studie mit Berliner Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 10". Fremdsprachen Lehren und Lernen 42/1, 121–130.
- Candelier, Michel. 2020. "Überlegungen zur Erweiterung des Referenzrahmens für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen um die Dimension des sprachsensiblen Fachunterrichts". In: Steffi Morkötter et al. (eds.). Sprachenübergreifendes Lernen. Lebensweltliche und schulische Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr Francke Attempto, 257–275.
- Candelier, Michel et al. (eds.) 2009. Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. https://archive.ecml.at/mtp2/publications/C4_RePA_090724_IDT.pdf.
- Elsner, Daniela. 2010. "'Ich habe was, das du nicht hast…' Oder: Welchen Mehrwert hat die Mehrsprachigkeit für das Fremdsprachenlernen?". IMIS Beiträge 37, 99–120.
- Ender, Andrea. 2007. Wortschatzerwerb und Strategieeinsatz bei mehrsprachigen Lernenden. Aktivierung von Wissen und erfolgreiche Verknüpfung beim Lesen auf Verständnis in einer Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
- Göbel, Kerstin et al. 2010. "Die Sprachentransferunterstützung im Deutsch- und Englischunterricht bei Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Sprachlernerfahrung". In: Christina Allemann-Ghionda (eds.). Migration, Identität, Sprache und Bildungserfolg. Weinheim: Beltz, 101–122.
- Gürel, Ayşe. 2017. "Die Migrationssprache Türkisch im Französischunterricht". In: Claudia Schlaak/Sylvia Thiele (eds.). Migration, Mehrsprachigkeit und Inklusion: Strategien für den schulischen Unterricht und die Hochschullehre. Stuttgart: ibidem, 105–122.
- Haberland, Svenja. 2022. "Mehrsprachigkeitsdidaktische Bausteine in der ersten Ausbildungsphase zukünftiger Französischlehrkräfte – Einblick in Konzeption und empirische Erprobung". In: Corinna Koch/Michaela Rückl (eds.). Au carrefour de langues et de cultures: Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität im Französischunterricht. Stuttgart: ibidem, 147–174.
- Heyder, Karoline/Schädlich, Birgit. 2014. "Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrkräften in Niedersachsen". Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19/1, 183–201.
- Klotz, Ulrike. 2015. "Förderung der Sprachen übergreifenden Kompetenzen im multikulturellen Klassenzimmer". In: Ute von Kahlen (ed.). Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Stuttgart: Ernst Klett, 36–39.
- Koch, Christian. 2020. "Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand zur Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Spanischunterricht". In: Marta García García et al. (eds.). Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen: Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft. Tübingen: Narr Francke Attempto, 261–280.
- Koch, Christian. 2023. "À la recherche des mots d'emprunt. Digital die lexikalischen Spuren des Französischen in den Herkunftssprachen entdecken". In: Lukas Eibensteiner et al. (eds.). Neue Wege des Französischunterrichts. Linguistic Landscaping und Mehrsprachigkeitsdidaktik im digitalen Zeitalter. Tübingen: Narr Francke Attempto, 125–141.
- Kropp, Amina. 2015. "Vorsprung durch Vorwissen: Das Potenzial von Transferleistungen für die Nutzung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im schulischen Fremdsprachenunterricht". In: Stéfanie Witzigmann/Jutta Rymarczyk (eds.). Mehrsprachigkeit als Chance: Herausforderungen und Potentiale individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. Frankfurt am Main: Lang, 165–183.
- Kropp, Amina et at. 2022. "Herkunftssprache meets Fremdsprache: Eine empirische Studie aus dem universitären Anfangsunterricht Spanisch". In: Frank Frank Schöpp/Aline Willems (eds.). Unterricht der romanischen Sprachen und Inklusion: Rekonstruktion oder Erneuerung? Stuttgart: ibidem, 83–122.
- Lamy de La Chapelle, Charlotte/Garcia-Debanc, Claudine. 2022. "Faire de la grammaire en comparant les langues dans deux CM1 'ordinaires' REP et non REP". Repères 65, 97–122.
- Levet, Dominique et al. 2021. Français et langues du monde : comparaison et apprentissage. Vanves: Hachette.
- Mehlhorn, Grit. 2017. "Herkunftssprachen im deutschen Schulsystem". Fremdsprachen Lehren und Lernen 46/1, 43–55.
- Melo-Pfeifer, Sílvia/von Rosen, Julia. 2021. "Einleitung: Warum ein weiteres Buch über Mehrsprachigkeit in der Schule?". In: Christian Helmchen et al. (eds.). Mehrsprachigkeit in der Schule. Ausgangspunkte, unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen. Tübingen: Narr Francke Attempto, 7–16.
- Ministerium für Migration und Flüchtlinge. 2022. Migrationsbericht 2021: Zentrale Ergebnisse. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Migrationsberichte/migrationsbericht-2021-zentrale-ergebnisse.html?nn=282388 (16.11.2023).
- Reimann, Daniel/Cantone, Katja F. 2021. "Angehende Lehrkräfte der romanischen Sprachen und lebensweltliche Mehrsprachigkeit. Qualitative Daten aus einer Studierendenbefragung". In: Isabelle Mordellet-Roggenbuck et al. (eds.). Mehrsprachigkeit in der Lehrerbildung: Modelle, Konzepte und empirische Befunde für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik. Berlin: Lang, 13–38.
- Rück, Nicola. 2009. Auffassungen vom Fremdsprachenlernen monolingualer und plurilingualer Schülerinnen und Schüler. Kassel: Kassel University Press.
- Şahingöz, Yasemin. 2014. Schulische Mehrsprachigkeit bei türkisch-deutsch bilingualen Schülern: Eine Analyse von transferinduzierten Wortstellungsmustern. Hamburg. https://d-nb.info/1159704619/34.
- Schöpp, Frank. 2015. "Die Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen". In: Eva M. Fernández Ammann et al. (eds.). Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Berlin: Frank & Timme, 159–183.
- Siems, Maren/Diana Granados. 2014. "Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit als Ressource". Hispanorama 145, 31–39.
- Statistisches Bundesamt. 2023. Zahl der Woche. www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/ 2023/PD23_08_p002.html
- Tracy, Rosemarie. 2014. "Mehrsprachigkeit: Vom Störfall zum Glücksfall". In: Manfred Krifka et al. (eds.). Das mehrsprachige Klassenzimmer: Über die Muttersprachen unserer Schüler. Berlin, Heidelberg: Springer VS, 13–33.
Informationen zu dem Zeitplan folgen in Kürze.
Lisa Marie Brinkmann, Sílvia Melo-Pfeifer (Hamburg)
"Weil die Schüler damit ja auch ein bisschen was über sich selbst preisgeben sozusagen": Das unausgeschöpfte kognitive Potential der Herkunftssprachen im Französischunterricht
Die Vorteile der Verwendung verschiedener Sprachen, insbesondere der Herkunftssprachen, im Fremdsprachenunterricht wurden von der Forschung aufgrund ihres potenziellen affektiven, identitätsstiftenden und kognitiven Werts hervorgehoben (vgl. Kirsch/Duarte 2020). Allerdings scheinen mehrsprachige Aktivitäten im Unterricht immer noch eine untergeordnete Rolle zu spielen und, wenn sie vorkommen, von einem eher defizitären und herablassenden Diskurs über ihre Verwendung begleitet zu werden (vgl. Haukås 2016). In diesem Beitrag analysieren wir den Diskurs von zwei Französischlehrkräften, der mittels Interviews und direkter Beobachtung von ihren zwei Klassen im Jahr 2021 erhoben wurde. Die Lehrerinnen waren an einem mehrsprachigen Projekt zur Erforschung der Linguistic Landscapes an Schulen beteiligt. Sie haben gemeinsam mit einer Forschungsgruppe mehrsprachige Aktivitäten in ihren Unterricht integriert und deren Umsetzung mit der Projektgruppe diskutiert. Ziel dieser Studie ist es, die Einstellungen und Überzeugungen der Lehrkräfte in Bezug auf die Verwendung von Herkunftssprachen zu analysieren, indem wir die affektiven und identitätsstiftenden Funktionen einerseits und die kognitiven Funktionen andererseits, die sie ihr zuschreiben, gegenüberstellen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Lehrkräfte in dieser Studie trotz der Wertschätzung des mehrsprachigen Repertoires der Lernenden dazu neigen, das kognitive Potenzial der Herkunftssprachen beim Erlernen des Französischen auszublenden.
- Haukås, Åsta. 2016. "Teachers' beliefs about multilingualism and a multilingual pedagogical approach". International Journal of Multilingualism 13/1, 1–18.
- Kirsch, Claudine/Duarte, Joana. 2020. Multilingual Approaches for Teaching and Learning From Acknowledging to Capitalising on Multilingualism in European Mainstream Education. London: Routledge.
Michel Candelier (Le Mans)
La question de la langue d'origine des apprenants et apprenantes au sein de la didactique du plurilinguisme: Quels objectifs? Quelle crédibilité?
Dans l'ensemble complexe que constituent les différents courants de la didactique du plurilinguisme, la question de la prise en compte de la langue d'origine n'est pas nouvelle (Candelier 2003; Gogolin 2011). Déterminant essentiel du recours à cette didactique pour certaines orientations, elle joue pour d'autres UN rôle secondaire, qui n'est pas reconnu par l'ensemble de leurs adeptes. On cherchera à en dresser UN tableau centré sur les didactiques d'expression romanophone et germanophone, élargi aux propositions du translanguaging, et orienté principalement sur la question de la variation des objectifs assignés à la prise en compte de la langue d'origine. Pour ce faire, on se référera à la structuration de la didactique du plurilinguisme instituée par les approches plurielles (cf. Melo-Pfeifer/Reimann 2018). Selon les orientations choisies, les compétences attendues, pour la prise en compte de la langue d'origine, qui contribuent à instituer la crédibilité de cet objectif, ne sont pas les mêmes. On ne peut assimiler, de ce point de vue, d'une part la simple présence de ces langues dans UN corpus présenté en éveil aux langues, et d'autre part la compréhension de leur fonctionnement a priori requise pour qu'il/elle puisse aider à établir des liens avec la langue cible dans le cadre de la didactique intégrée de langues. On en traitera en appui sur le référentiel RCE-AP.
- Candelier, Michel (ed.). 2003. Evlang – L'éveil aux langues à l'école primaire. Bilan d'une innovation européenne. Bruxelles: De Boeck-Duculot.
- Gogolin, Ingrid et al. 2011. Durchgängige Sprachbildung – Qualitätsmerkmale für den Unterricht. Münster: Waxmann.
- Melo-Pfeifer, Silvia/Reimann, Daniel (eds.). 2018. Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen in Deutschland: State of the Art und Perspektive. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Mirjam Egli Cuenat (Brugg-Windisch)
Observer l'évolution de l'interlangue: Konzeptualisierung der Rolle der Herkunftssprachen im Französischerwerb durch Primarlehramtsstudierende
In der Schweiz wird ab der 3. Klasse (8 Jahre) eine erste und ab der 5. Klasse (10 Jahre) eine zweite Fremdsprache unterrichtet, meist eine zweite Landessprache und Englisch. In der Deutschschweiz sind dies Französisch und Englisch. Etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler bringt eine weitere Sprache mit. Es erscheint wichtig, die Lehrpersonen bei der Erkennung von herkunftssprachlichen Ressourcen im Repertoire der Lernenden zu unterstützen, insbesondere im Hinblick auf den Aufbau diagnostischer Kompetenz und das Erkennen von Förderpotenzialen (Egli Cuenat 2022). Im Beitrag wird berichtet, wie angehende Primarlehrkräfte im Rahmen ihres Französischstudiums an der Pädagogischen Hochschule zu einer qualitativen Untersuchung der Entwicklung der Lernersprache (interlangue) im Französischen angeleitet werden. Bei der Beobachtung der Lernenden werden sie ermutigt, das gesamte mehrsprachige Repertoire, einschliesslich der Herkunftssprachen, zu berücksichtigen (Galligani/Bruley 2014). Die Verwendung des Europäischen Sprachenportfolios ermöglicht es ihnen, die Sprachbiografie ihrer Schüler zu erfassen. Es wird aufgezeigt, wie die Studierenden Herkunftssprachen als potenzielle Ressource oder Hindernis analysieren. Vor dem Hintergrund des Mehrsprachigkeitsansatzes wird das den Arbeiten zugrunde liegende Konzept der interlangue einer kritischen Prüfung unterzogen, wobei u.a. auf Cook (2016) Bezug genommen wird.
- Cook, Vivian. 2016. "1. Premises of Multi-Competence". In: Vivian Cook/Wei Li (eds.). The Cambridge handbook of linguistic multi-competence. Cambridge: Cambridge University Press, 1–25.
- Egli Cuenat, Mirjam. 2022. "Viersprachige mündliche Textproduktion bei Kindern in Schul-, Fremd- und Herkunftssprachen – eine explorative Studie". In: Judith Kainhofer/Michaela Rückl (eds.). Sprache(n) in pädagogischen Settings. Berlin: De Gruyter, 105–122.
- Galligani, Stéphanie/Bruley, Cécile. 2014. "De la notion d'interlangue à celle de compétence partielle et plurilingue: des exemples en FLE". Mélanges CRAPEL 35, 31–45.
Lukas Eibensteiner, Philipp Förster (Jena)
Éveil aux langues d'origine: Mit virtuellen Stadtspaziergängen und Escape Rooms Herkunftssprachen spielerisch entdecken und für Sprachenvielfalt sensibilisieren
Mehrsprachigkeit ist aus bildungspolitischen Dokumenten wie dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen oder den Bildungsstandards nicht mehr wegzudenken. Aktuelle Umfragen zeigen zudem, dass Lehrkräfte die Relevanz mehrsprachiger Ansätze erkennen und bemüht sind, diese im Fremdsprachenunterricht entsprechend umzusetzen (vgl. z.B. Heyder/Schädlich 2015). Allerdings wird dabei vor allem auf andere Schulfremdsprachen zurückgegriffen; Herkunfts-/Familiensprachen finden bislang vergleichsweise wenig Beachtung. Die Einbeziehung dieser Sprachen birgt jedoch ein großes Potenzial und kann beispielsweise zur Sensibilisierung für Sprachenvielfalt, zur Aktivierung interlingualer Transferbasen oder zur Förderung von Sprachenbewusstheit beitragen (vgl. z.B. Schöpp 2015). Während für die Wortschatz- und Grammatikarbeit mittlerweile zahlreiche Vorschläge für eine sprachvergleichende Herangehensweisen vorliegen (vgl. z.B. Koch 2023), möchten wir uns in diesem Beitrag den Potenzialen digitaler Lehr-/Lernszenarien widmen, die im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts "Mehrsprachiges und Interkulturelles Lernen" entwickelt werden. Im Fokus stehen dabei virtuelle Stadtspaziergänge und Escape Rooms, deren spielerischer und immersiver Zugang zum Fremdsprachenlernen in der Literatur zunehmend positiv bewertet wird.
- Heyder, Karoline/Schädlich, Birgit. 2015. "Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenunterricht: Eine Befragung von Lehrern in Niedersachsen". In: Eva Maria Fernández Ammann et al. (eds.). Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Berlin: Frank & Timme, 233–251.
- Koch, Christian. 2023. "À la recherche des mots d'emprunts. Digital die lexikalischen Spuren des Französischen in den Herkunftssprachen entdecken". In: Lukas Eibensteiner et al. (eds.). Neue Wege des Französischunterrichts. Linguistic Landscaping und Mehrsprachigkeitsdidaktik im digitalen Zeitalter. Tübingen: Narr Francke Attempto, 125–141.
- Schöpp, Frank. 2015. "Die Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen". In: Eva María Fernández Ammann et al. (eds.). Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Berlin: Frank & Timme, 159–183.
Svenja Haberland (Münster)
Sprachenvergleichende Steckbriefe für angehende und praktizierende Französischlehrkräfte zur unterrichtlichen Integration von Herkunftssprachen am Bei-spiel des Polnischen und Türkischen
Individuelle Herkunftssprachen werden trotz ihres Potenzials noch zu selten in den Unterricht einbezogen, da sich Lehrkräfte – u.a. aufgrund fehlender Sprachkenntnisse sowie mangelnder didaktischer Hilfestellungen – nicht angemessen darauf vorbereitet fühlen und um ihren Status als 'Expertinnen und Experten' fürchten (vgl. z.B. Bermejo Muñoz 2019, 258; Bredthauer/Engfer 2018, 12f.; Heyder/Schädlich 2014, 194). Sprachenvergleichende Steckbriefe, die bereits für DaZ und français langue seconde vorliegen, können eine Hilfestellung für Lehrkräfte darstellen, allerdings fehlt es für den Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum noch an einer systematischen und gebündelten Gegenüberstellung einzelner Herkunftssprachen mit der Zielsprache Französisch, welche auch didaktische Empfehlungen bzw. Hinweise für die Unterrichtspraxis enthält. Im Vortrag werden zwei von der Autorin konzipierte Sprachensteckbriefe für die Herkunftssprachen Polnisch und Türkisch vorgestellt, die einerseits eine Synthese bereits publizierter Steckbriefe darstellen und diese andererseits komplettieren. Es werden Orthographie, Lexik, Morphologie und Syntax übersichtlich kontrastiert sowie unterrichtliche Förderempfehlungen in einem anwendungsfreundlichen Format dargeboten. So entsteht ein Werkzeug für die zeitsparende Auseinandersetzung mit Herkunftssprachen, das langfristig zu einer systematisch(er)en Integration und Wertschätzung herkunftssprachlicher Vorkenntnisse sowie einer Fehlerprophylaxe beitragen kann.
- Bermejo Muñoz, Sandra. 2019. Berücksichtigung schulischer und lebensweltlicher Mehrsprachigkeit im Spanischunterricht. Eine empirische Studie. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.
- Bredthauer, Stefanie/Engfer, Hilke. 2018. "Natürlich ist Mehrsprachigkeit toll! Aber was hat das mit meinem Unterricht zu tun?". edu-pub: das Kölner Open-Access-Portal für die LehrerInnenbildung. kups.ub.uni-koeln.de/8092/.
- Heyder, Caroline/Schädlich, Birgit. 2014. "Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrkräften in Niedersachsen". Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19/1, 183–201.
Karoline Henriette Heyder (Bremen)
Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Französischunterricht – Einstellungen und Kompetenzen angehender Lehrkräfte
Mehrsprachigkeit und -kulturalität prägen die Gesellschaft und der reflektierte Umgang mit ihnen gehört zu den übergeordneten bildungspolitischen Zielsetzungen des Französischunterrichts. In der Unterrichtspraxis jedoch finden mehrsprachigkeits- und mehrkulturalitätsorientierte Ansätze keine systematische Berücksichtigung. Vorliegende Untersuchungen zu Einstellungen und Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften bzgl. Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität offenbarten Lücken in Bezug auf Wissen und Kompetenzen (vgl. Heyder 2021; Heyder/Schädlich 2014; 2015). Die Untersuchungen kommen u.a. zu dem Ergebnis, dass (angehende) Lehrkräfte mehrsprachigkeits- und mehrkulturalitätsorientierten Verfahren grundsätzlich positiv gegenüber eingestellt sind, jedoch eklatante Vorbehalte im Umgang mit ihnen unbekannten Sprachen haben, namentlich den Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler (vgl. Heyder/Schädlich 2014, 2015). Eine wissenschaftliche fundierte und zugleich an der Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler orientierte Förderung von Mehrsprachigkeit erfordert eine gezielte Aus- und Weiterbildung von Französischlehrkräften. Diese wiederum setzt die Kenntnis des status quo der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu Mehrsprachigkeit und -kulturalität voraus. Im Vortrag werden Teilergebnisse einer aktuellen empirischen Untersuchung bzgl. des Wissens, der Kompetenzen und der Einstellungen angehender Französischlehrkräfte zu Mehrsprachigkeit und ‑kulturalität präsentiert. Ziel ist es, hierauf basierend die Implementierung von Mehrsprachigkeit in die Aus- und ‑weiterbildung der Französischlehrkräfte zu reflektieren.
- Heyder, Karoline. 2021. "Die 'Krise' des Französischunterrichts und die Potentiale mehrsprachiger Kompetenz". In: Matthias Grein et al. (eds.). Die Krise des Französischunterrichts in der Diskussion. Empirische Forschung zur Frankoromanistik – Lehramtsstudierende im Fokus. Berlin: Metzler, 86–103.
- Heyder, Karoline/Schädlich, Birgit 2015. "Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenunterricht: Eine Befragung von Lehrerinnen und Lehrern in Niedersachsen". In: Eva Maria Fernandez Amman et al. (eds.). Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Berlin: Frank & Timme, 233–251.
- Heyder, Karoline/Schädlich, Birgit 2014. "Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrkräften in Niedersachsen". In: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19/1, 183–201.
Christian Koch (Siegen)
Ukrainisch im Französischunterricht. Annäherungen an eine akut relevante Herkunftssprache
Ukrainisch als Herkunftssprache war bereits vor dem 24. Februar 2022 in Deutschland präsent, fand aber im Vergleich zu den Nachbar- und Kontaktsprachen Polnisch und Russisch im Herkunftssprachendiskurs kaum Beachtung. Die fehlende Aufmerksamkeit kann auf die Unschärfe bezüglich Zweisprachigkeit in der Ukraine und Abstand zum Russischen zurückgeführt werden. Mit der russischen Invasion und infolgedessen mit der Aufnahme ukrainischsprachiger Kinder in deutsche Schulen ist diese Aussparung nunmehr undenkbar geworden (vgl. Ivanenko 2022). Herkunftssprachensensibler Französischunterricht (vgl. Koch 2022) kann ein Versuch sein, neben der gesellschaftspolitischen Thematisierung der Ukraine in Zeiten des Krieges auch sprachlichen Aspekten Raum zu geben. Wie bei anderen slavischen Sprachen sind die strukturellen Transferpotenziale in die romanischen Sprachen vielfältig, aber im deutschsprachigen Kontext wenig bekannt. Der Beitrag macht es sich zur Aufgabe, sprachliche Bezüge zwischen dem Ukrainischen und dem Französischen auf lautlicher, lexikalischer, grammatischer und pragmatischer Ebene aufzuzeigen. Dazu werden neben der kontrastiven Analyse auch Interviews mit Französischstudierenden und ‑lehrkräften einbezogen, die selbst einen ukrainischsprachigen Hintergrund haben und eine subjektive Expertise zur Thematik beisteuern können (vgl. zur Methodik Morris 2023). Auf dieser Grundlage werden Unterrichtsvorschläge entwickelt und zur Diskussion gestellt.
- Koch, Christian. 2022. "Zur Entwicklung von Sprachbeschreibungen für den herkunftssprachensensiblen Französischunterricht". In: Corinna Koch/Michaela Rückl (eds.). Au carrefour de langues et de cultures. Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität im Französischunterricht. Stuttgart: ibidem, 191–209.
- Ivanenko, Svitlana. 2022. "Sprachbeschreibung Ukrainisch". https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/sprachbeschreibung_ukrainisch.pdf.
- Morris, Patricia Louise. 2023. "'es wird zwar gesagt: "Unterstützen Sie Mehrsprachigkeit, […] aber ich weiß einfach nicht wie' – Eine Interviewstudie mit türkeistämmigen angehenden Französischlehrkräften". k:ON – Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung Sonderausgabe 2, 134–152.
Christian Koch (Siegen), Corinna Koch (Münster)
Forschungsdesiderate zum Einsatz von Herkunftssprachen im Französischunterricht
Das individuelle sprachliche und kulturelle Repertoire lebensweltlich mehrsprachiger Lernender birgt lernökonomische und identitätsstiftende Potenziale beim Erlernen des Französischen als Schulfremdsprache. Studien zeigen jedoch, dass Fremdsprachenlehrkräfte kaum auf vorhandene Herkunftssprachen zurückgreifen, u.a. aus Sorge vor "lernhinderlichen Interferenzen" (Heyder/Schädlich 2014, 189), aufgrund fehlender Materialien und eigener Kenntnisse dieser Sprachen sowie unterrichtspraktischer Ansätze (vgl. u.a. Bredthauer/Engfer 2018, 8; Melo-Pfeifer/von Rosen 2021, 7f.). Dieser einführende Beitrag grenzt das Thema der Sektion ein, zeigt die aktuell dringlichsten Forschungsdesiderate auf und erläutert Struktur und Zusammenhang der nachfolgenden Vorträge in thematischen Blöcken. Ferner erfolgt ein Ausblick auf die im Anschluss geplante Publikation.
- Bredthauer, Stefanie/Engfer, Hilke. 2018. "Natürlich ist Mehrsprachigkeit toll! Aber was hat das mit meinem Unterricht zu tun?". edu-pub: das Kölner Open-Access-Portal für die LehrerInnenbildung. kups.ub.uni-koeln.de/8092/.
- Heyder, Karoline/Schädlich, Birgit. 2014. "Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrkräften in Niedersachsen". Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19/1, 183–201.
- Melo-Pfeifer, Sílvia/von Rosen, Julia. 2021. "Einleitung: Warum ein weiteres Buch über Mehrsprachigkeit in der Schule?". In: Christian Helmchen et al. (eds.). Mehrsprachigkeit in der Schule. Ausgangspunkte, unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen. Tübingen: Narr Francke Attempto, 7–16.
Amina Kropp (Universität Mannheim)
Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Französischunterricht: Die Professionalisierung angehender Fremdsprachenlehrkräfte im Spiegel des universitären Ausbildungsangebots
Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit ist im Fremdsprachenunterricht zunehmend der Normalfall und erfordert einen ressourcenorientierten Umgang (vgl. Reimann 2015). Demgegenüber zeigt sich für das Lehramtsstudium weiterhin eine "problemfixierte Perspektive auf Migranten" (Karakaşoğlu et al. 2017). Überdies können Studienangebote zu "defizitorientierten Sichtweisen auf Mehrsprachigkeit" (Busse 2020, 289) beitragen. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach einem migrations- und mehrsprachigkeitssensiblen Studienangebot für angehende Fremdsprachenlehrpersonen (insbesondere Französisch) adressiert. Hierfür werden aktuelle Studiendokumente sechs westdeutscher Bundesländer einer kritischen inhaltsanalytischen Sichtung unterzogen. Die Analyseergebnisse zeigen einerseits eine wenig differenzierte, primär defizitbezogene Sichtweise auf herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit. Andererseits zeichnet sich ab, dass Grundlagen zu interlingualem Transfer und Herkunftssprechern nur marginal repräsentiert sind. Erkennbar ist folglich die Notwendigkeit einer angemessenen linguistischen Fundierung zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit, die auch soziolinguistische Perspektiven einschließt. Nicht zuletzt sollte der Entwicklung einer ressourcenorientierten Sicht angemessen Raum gegeben werden.
- Busse, Vera. 2020. "Qualifizierung von Lehramtsstudierenden zum Umgang mit Mehrsprachigkeit". In: Ingrid Gogolin et al. (eds.). Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 287–292.
- Karakaşoğlu, Yasemin/Wojciechowicz, Anna Aleksandra/Mecheril, Paul/Shure, Saphira. 2017. "Angekommen in der Migrationsgesellschaft? Grundlagen der Lehrerbildung auf dem Prüfstand". Essen: Stiftung Mercator.
- Reimann, Daniel. 2015. "Aufgeklärte Mehrsprachigkeit – neue Wege (auch) für den Spanischunterricht". Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 51, 4–11.
Patricia Louise Morris (Göttingen)
"ich weiß von einer, die ähm Türkisch noch spricht, aber da – also da habe ich halt leider keinen Bezug zu und kann das nicht so richtig nutzen" – Prestigeärmere Herkunftssprachen aufgreifen und anerkennen
Den Herkunftssprachen wird im Französischunterricht immer noch eine sehr kleine Rolle zu Teil. Oftmals argumentieren Lehrkräfte damit, dass sie die Sprachen der Lernenden nicht sprächen oder diese Sprachen typologisch zu distant vom Französischen seien. So werden ausschließlich Sprachen eingebunden (Deutsch als Umgebungssprache, Englisch als vorgelernte Schulsprache), welche einen Prestigestatus innehaben und deren Sprecherinnen und Sprecher dadurch nicht nur gesellschaftlich und in den anderen Schulfächern, sondern auch im Französischunterricht privilegiert werden. Im Vortrag wird allerdings u.a. anhand von Daten gezeigt, dass sich die Lehrkräfte den Sprachen der Lernenden oftmals gar nicht bewusst sind. Als möglichen Lösungsvorschlag dieser Problematik wird anhand einer Unterrichtseinheit aus der Französischlehrkräftebildung der ersten Phase aufgezeigt, wie sich (angehende) Lehrende selbst ihrem Repertoire bewusst werden können. Die dabei angewandten Methoden (Sprachenporträts, vgl. Krumm/Jenkins 2001, und Dominant Language Constellations, vgl. Lo Bianco/Aronin 2020) lassen sich auch auf den schulischen Französischunterricht übertragen, um sich den Repertoires und Ressourcen der Lernenden sichtbar zu machen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Im zweiten Teil des Vortrags soll es konkret um das "typologisch distant[e]" Türkisch als Herkunftssprache im Französischunterricht gehen. Ziel des Beitrags ist es dabei aufzuzeigen, dass keine Sprache zu "unähnlich" ist, um sie nicht bewusst aufzugreifen (vgl. Hu 2003).
- Krumm, Hans-Jürgen/Jenkins, Eva-Maria. 2001. Kinder und ihre Sprachen – lebendige Mehrsprachigkeit: Sprachenportraits gesammelt und kommentiert von Hans-Jürgen Krumm. Wien: Eviva.
- Lo Bianco, Joseph/Aronin, Larissa (eds.). 2020. Dominant language constellations. A new perspective on multilingualism. Cham: Springer.
- Hu, Adelheid. 2003. Schulischer Fremdsprachenunterricht und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr.
Christiane Neveling (Leipzig), Anna Schröder-Sura(St. Gallen)
Herkunftssprachen in Französischlehrwerken deutschsprachiger Länder – Erkenntnisse für die Entwicklung von sprachenübergreifendem Unterrichtsmaterial
Angesichts der hohen Zahlen von zugewanderten Schülerinnen und Schülern an Schulen in Deutschland besteht auf den ersten Blick eine Diskrepanz zwischen dieser Realität und dem Aufgreifen von Herkunftssprachen in aktuellen Lehrwerken. In einer Analyse von Lehrwerken für das Fach Französisch wurden 1200 Bezüge zum Deutschen und Englischen festgestellt, aber nur knapp 200 Bezüge zu "anderen" oder "frei wählbaren" Sprachen, unter die auch Herkunftssprachen fallen. Diese Erkenntnisse sind ein Teilergebnis des Erasmus+ Projektes "Mehrsprachigkeitsfördernde Module für den Fremdsprachenunterricht (MEMO) – Beispiele für einen sprachen- und kulturensensiblen Anfangsunterricht Französisch". Darin wurde u.a. ein Korpus von insgesamt sechs Lehrwerken aus den vier beteiligten deutschsprachigen Ländern in MAXQDA analysiert. Im Vortrag sollen ausgewählte Ergebnisse der Lehrwerkanalysen mit einem Fokus auf Herkunftssprachen präsentiert werden. Die Analysen bilden die Grundlage für die Konzeption von mehrsprachigkeitsdidaktischen Unterrichtsmodulen. Beispiele aus diesen Materialien sollen Einblicke gewähren, wie herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Französischunterricht als eine Unterstützungsmaßnahme zur Differenzierung (z.B. Lohe 2017, 209) eingesetzt und gleichzeitig zur Förderung des Selbstwirksamkeitserlebens von Lernenden beitragen kann.
- Lohe, Vivienne. 2017. "'Aber ich kann doch gar kein Türkisch!' – 'Na und?' Heterogene Lerngruppen und mehrsprachiges Lernmaterial". In: Christiane Fäcke/Barbara Mehlmauer-Larcher (eds.), Fremdsprachliche Lehrmaterialien – Forschung, Analyse und Rezeption Berlin: Lang, 189–216.
- Statistisches Bundesamt. 2023. Zahl der Woche. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_08_p002.html.
Marta Maria Röder (Siegen)
Die Herkunftssprache Polnisch im Französischunterricht: Ein Vorschlag für sprachlich-kulturelle Arbeit mit dem Film Cold War – Breitengrad der Liebe als Förderungsinitiative von Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität
Die polnische Sprache nimmt im deutschen Bildungssystem aufgrund der beachtenswerten Zahl von Sprechenden eine besondere Stellung ein und dient zudem innerhalb der Europäischen Union als eine bedeutende Amtssprache. Besonders im (Fremd‑)Sprachenunterricht für Lerngruppen, deren Herkunftssprache Polnisch ist, manifestiert sich ihre Relevanz bei sprachlichen und kulturellen Lernprozessen (Mehlhorn et al. 2020). In diesem Vortrag wird mittels des Films Cold War – Der Breitengrad der Liebe (2018) von Regisseur Paweł Pawlikowski aufgezeigt, wie Polnisch in den Französischunterricht eingebunden werden kann, um die mehrsprachige und multikulturelle Identität der Lernenden durch problemorientiert-filmästhetische Ansätze zu fördern. Der Spielfilm bietet eine fesselnde sprachliche, kulturelle und emotionale Brücke zwischen dem westlich orientierten Nachkriegsfrankreich und dem kommunistisch geprägten Nachkriegspolen. Dieser historische Kontext bildet den Hintergrund für die leidenschaftliche und turbulente Liebesgeschichte zwischen der Sängerin Zula und dem Pianisten Wiktor. Ihre Beziehung wird von den Herausforderungen des Kalten Krieges geprägt, die persönliche, politische, kulturelle und sprachliche Barrieren umfassen. Ihre Reise durch verschiedene Länder, darunter Polen, Ost-Berlin, Jugoslawien und schließlich Frankreich (Paris) spiegelt die Komplexität und Vielschichtigkeit dieser Ära wider.
- Mehlhorn, Grit et al. 2020. "Gelebte Mehrsprachigkeit in russisch- und polnischsprachigen Familien in Deutschland: Eine longitudinale Betrachtung". Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 25/1, 27–52.
- Pawlikowski, Paweł. 2018. Cold War – Der Breitengrad der Liebe.
12. Humane Bildung und künstliche Intelligenz – Französischdidaktik und Lehrkräftebildung angesichts des Digitalen Wandels
Der jüngste Entwicklungssprung im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und deren immer umfassendere Verbreitung stellen nicht nur den schulischen Fremdsprachenunterricht vor neue Fragen, sondern fordern die Fremdsprachendidaktiken insgesamt – bis hin zu ihrer offenen Infragestellung – auch im akademischen Kontext heraus. In Form von kostenfrei zugänglichen Programmen, Applikationen und digitalen Hilfsmitteln werden KI-gestützte Tools zur Übersetzung, Bild- und Textproduktion meist unkontrolliert von Lernenden genutzt. Angesichts des bundesbildungspolitischen Digitalisierungsschubs im Rahmen des sog. Digitalpakts ist die Steigerung der Verwendung entsprechender Medien im schulischen und außerschulischen Bereich explizit gewollt und ihr Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Ein kritischer Umgang mit Digitalität ist daher unerlässlich und für eine zukunftsweisende und nachhaltige Lehrkräftebildung von immenser Bedeutung.
Aus der reflektierten Nutzung passender KI-Instrumente können für Lehr- und Lernprozesse im Fremdsprachenunterricht nicht unerhebliche Vorteile erwachsen (ubiquitäre Lernerfahrung, Anpassung an Bedürfnisse der Lernenden, Deep language learning; vgl. Strasser 2020, 3). Umgekehrt enthält das Unterrichten einer Fremdsprache für KI gegenwärtig noch zu viele komplexe diskursive Abhängigkeiten, die ein selbstlernender Algorithmus nicht abdecken kann. Die Annahme etwa, dass Algorithmen eine hohe performative Proximität zu menschlichen Lernpatterns erreichen werden (vgl. ebd., 2), stellt eine in ihren Auswirkungen noch kaum absehbare Herausforderung dar. Von Echtzeitübersetzungsprogrammen und Übersetzungsplattformen sind gegenwärtig bereits nachhaltige Folgen für den institutionellen Fremdsprachenunterricht zu beobachten.
Im Sinne einer humanen Bildung (vgl. Nida-Rümelin 2013; Nida-Rümelin/Weidenfeld 2018) und vor dem Hintergrund ethischer Leitlinien (vgl. Deutscher Ethikrat 2023) lassen die expandierenden technischen Möglichkeiten der KI das Wesen und Potential von Fremdsprachenunterricht umso deutlicher hervortreten. Dessen genuine Charakteristika bleiben im Lichte von Bildungsprozessen konstant und behalten auch angesichts fundamentaler digitaler Wandelerscheinungen ihre Gültigkeit. Spracherkennung und Übersetzungssoftware sind kein vollumfänglicher Ersatz für menschliche Kommunikation, die von zwischenmenschlicher Nähe, vom Einbezug nonverbaler Zeichen in den Verstehensprozess mündlichen Austauschs, vom nicht restlos kalkulierbaren Einfluss von Emotionen oder spezifischen kulturellen Hintergründen lebt. Besonders deutlich wird dies im inter- und transkulturellen sowie im literarisch-ästhetischen Bereich, deren hermeneutische Sinnbildungsprozesse und Persönlichkeitsmerkmale weder verhandelbar noch artifiziell substituierbar sind.
Die Konfrontation des technischen Potenzials künstlicher Intelligenz mit der genuin menschlichen Dimension im Umgang mit Sprache verlangt angesichts des damit auch verbundenen gesellschaftlichen Wandels eine ganze Bandbreite von kritischen Erwägungen. So stellt sich insbesondere die Frage nach dem Bildungsbeitrag eines Fremdsprachenunterrichts auf der Basis mittels KI hergestellter Erzeugnisse. Angesichts der Gefahr manipulativer Eingriffe, des Problems der Verlässlichkeit und ungesicherten Urheberschaft artifiziell produzierter Bild- und Textelemente sind kritische und ethische Überlegungen sowohl für den schulischen Fremdsprachenunterricht als auch für die Lehrkräftebildung von hoher Relevanz.
Die Sektion überträgt die bereits grundsätzlich geführte Debatte stellvertretend für Fremdsprachen schlechthin auf die spezifische Fachkultur des Faches Französisch, das für junge Lernende derzeit an Attraktivität abzunehmen scheint (vgl. Fritz 2020), ohne an kultureller und politischer Bedeutung verloren zu haben.
Forschungsimpulse
Die folgenden Impulse mögen weiterführende spezifische Forschungsfragen zur Rolle des Französischunterrichts angesichts des beschriebenen Digitalen Wandels anregen:
Fremdsprachendidaktik und Kompetenzerwerb
- Welche Rolle nimmt das Lehren und Lernen des Französischen angesichts einer KI ein, die in der Lage ist, bestimmte Anteile des Fremdsprachenunterrichts mitzugestalten? Welche Auswirkungen ergeben sich für dessen Ziele, Inhalte und methodische Ausrichtung? Muss Fremdsprachenlernen grundsätzlich neu gedacht werden (vgl. Grünewald 2019, 85f.)?
- In welchem Verhältnis stehen KI-gestützte Übersetzungen zur fremdsprachendidaktischen und kommunikativen, fachwissenschaftlichen und translatorischen Kompetenz von Lehrenden?
Interkulturelle Begegnung und transkulturelles Lernen
- Inwiefern trägt KI zum interkulturellen und transkulturellen Lernen bei?
- Wird interkulturelle Verständigung durch das Bekenntnis zur KI-gesteuerten Übersetzung zwangsläufig einem "kulturtheoretische[n] Simplizismus" (Lobe 2021) unterworfen?
Linguistik und Hermeneutik
- Welche Bedeutung und Relevanz hat die Verwendung KI-basierter Bild-, Textproduktion und Übersetzung für die mündliche bzw. schriftliche Kommunikation?
- Welche Auswirkungen hat die hohe Geschwindigkeit von KI-Übersetzungsleistungen auf die Spontaneität des Kommunikationsaktes?
- Bleibt eine KI-gesteuerte Übersetzung nicht zwangsläufig an der Oberfläche sprachlicher Begriffe, weil sie rein wörtlich bleiben muss und zur Selektion gezwungen ist? Wie kann KI auf Polysemie von Texten und einen potenziellen mehrfachen Schriftsinn reagieren? Wie wirkt sich dies auf künftige Verständigungsprozesse im interkulturellen Kontext aus?
Lehrkräftebildung
- Ist institutioneller Fremdsprachenunterricht noch notwendig, um basale Kommunikationsfähigkeit herzustellen?
- Wie können Lehrkräfte durch eine für Lernende und Lehrkräfte handhabbare digitale Lernumwelt adäquat unterstützt werden (vgl. Funk 2019, 73)?
- Wie müssen Aus- und Weiterbildungsangebote gestaltet sein, um Lehrkräfte im Umgang mit KI zu schulen?
Sprachenpolitik und Ökonomie
- Welche Konsequenz hat der lebensweltliche Einsatz von KI-gesteuerten Übersetzungstools auf das Französische im globalen Kontext angesichts der Lingua franca Englisch bzw. Globish, welche Auswirkungen auf Minderheitensprachen?
- Wie korrespondiert der Einsatz von KI-Instrumenten mit zentralen Intentionen des Fremdsprachenlernens (direkte Kommunikation, affektive Dimensionen, Kennenlernen anderer Kulturräume Wirtschaftsbeziehungen, internationale Karrieremöglichkeiten etc.; vgl. Riemer 2019, 85)?
Bibliographie
- Deutscher Ethikrat (ed.). 2023. Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz. Stellungnahme. Berlin. https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-mensch-und-maschine.pdf.
- Fritz, Julia. 2020. Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht. Eine qualitative Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr Francke Attempto.
- Funk, Hermann. 2019. "Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? Fremdsprachenunterricht in Zeiten des digitalen Wandels". In: Eva Burwitz-Melzer et al. (eds.). Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Tübingen: Narr Francke Attempto, 68–80.
- Grünewald, Andreas. 2019. "Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen?". In: Eva Burwitz-Melzer et al. (eds.). Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Tübingen: Narr Francke Attempto, 80–90.
- Lobe, Adrian. 2021. "Esperanto 2.0: Sprachen lernen ist überflüssig, vertrauen Sie lieber auf Ihr Übersetzungsprogramm". Neue Zürcher Zeitung.
- Nida-Rümelin, Julian. 2013. Philosophie einer humanen Bildung. Hamburg: Körber-Stiftung.
- Nida-Rümelin, Julian/Weidenfeld, Nina. 2018. Digitaler Humanismus. Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München: Piper.
- Riemer, Claudia. 2019. "Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel. Von der Realität über die Dystopie zur Utopie (nicht nur) im Bereich Deutsch als Fremdsprache". In: Eva Burwitz-Melzer et al. (eds.). Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Tübingen: Narr Francke Attempto, 185–195.
- Strasser, Thomas. 2020. "Künstliche Intelligenz im Sprachunterricht. Ein Überblick". Revista Lengua y Cultura 1/2, 1–6.
Informationen zu dem Zeitplan folgen in Kürze.
Die Vorträge werden noch bekannt gegeben.