Literaturwissenschaft
1. Konvergenz, Zerstreuung, Konfusion. Wissen übersetzen im 17. und 18. Jahrhundert
Unsere Sektion beschäftigt sich mit der mehrsprachigen Genese von Wissen in Übersetzungsprozessen. Komplementär zu den bereits rezipierten naturwissenschaftlichen Diskursen im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts möchten wir anhand dreier Schlüsselkonzepte herausarbeiten, wie Wissen übersetzt und geformt wird. Konvergenz, Zerstreuung und Konfusion dienen uns als (topographische) Metaphern einer komplexen Dynamik, welche die Bedingung für die Konstituierung neuen Wissens darstellt. Die Sektion thematisiert sowohl Übersetzungen aus dem Französischen wie auch in das Französische. Damit steht historisch betrachtet nicht nur die Entstehung einer volkssprachlichen Gelehrtenrepublik infolge der Erosion des Lateinischen, sondern auch die Dissemination französischer Geistesarbeit im Mittelpunkt. In unserer Sektion nehmen wir die 'Zusammenflüsse' der Sprachen im Prozess des Übersetzens ernst und machen die Kategorien von Konvergenz, Zerstreuung und Konfusion fruchtbar für die verschiedenen Interaktions- und Kontaktmöglichkeiten des Französischen mit anderen Sprachen (vgl. zum Konzept der Konfusion Shahar 2023). Konsequenterweise ist die Ausrichtung der Sektion komparatistisch und interphilologisch.
In Anlehnung an Niklas Luhmanns Systemtheorie hat Thomas Klinkert (2010, 22) in seiner Studie Epistemologische Fiktionen dargelegt, dass Wissen nicht einzig als "Sedimentierung von enttäuschter Erwartung in einem System" zu verstehen sei, sondern ebenso als "Resultat einer Kommunikation über diesen Sachverhalt". Mit Blick auf die Selbstübersetzungen und das exophone Schreiben der Brüder Humboldt arbeitet Stefan Willer die "grundsätzliche Sprachabhängigkeit des Wissens" heraus. Die besagten gelehrten Schreibverfahren und Praktiken dienen so nicht nur der "Distribution und Zirkulation wissenschaftlicher Ergebnisse" (2021, 119), sondern verweisen auf die translinguale Konstitution von Wissensprozessen. In diesem Sinne interessiert sich auch unsere Sektion nicht primär für den Zuwachs an Wissen, sondern für die Mittelbarkeit und Prozessualität der Wissensgenese im Übersetzen (vgl. hierzu auch Toepfer 2021, 206–207, 214).
Vor allem Literaturübersetzungen konnten, im Zuge der zurzeit blühenden Übersetzungsforschung, aus einer langanhaltenden Schattenexistenz heraustreten und wurden gerade in jüngsten Beiträgen mit Blick auf Geschlecht und Diversität untersucht (vgl. etwa Sanmann 2021; Brown 2022). Neben neueren Arbeiten zur Übersetzung von Enzyklopädien (vgl. Greilich 2021; Donato/Lüsebrink 2021) hat die Textsorte der Fachübersetzung für die Konstituierung (trans-)nationaler Wissenschaftskulturen Beachtung gefunden (vgl. Gipper/Stefanelli 2021). Die epistemische Dimension des Übersetzens wurde ebenso im Zusammenhang mit der Genese von anthropologischem und ökonomischem Wissen (vgl. Toepfer 2022, Lüsebrink 2021) herausgearbeitet. An dieses dynamische Forschungsfeld knüpfen wir mit unserer Sektion an. Uns geht es mit dem Fokus auf Wissen – dies zeigt bereits dieser kleine Forschungsstand – nicht primär um Autorschaft, sondern um eine kultur- und medienwissenschaftliche Perspektive auf Übersetzungen, die gerade Fehlübersetzungen, kreativen Umschreibungen und Adaptionen Aufmerksamkeit schenkt (vgl. Venuti 2008 und etwa Mende 2018) und das Potential dieser neu entstandenen Texte jenseits von ästhetischer Bewertung und geradliniger Rezeption herausarbeitet.
Die methodische Ausrichtung der Sektion ist dahingehend zentral, als wir keinen systematischen Ansatz verfolgen, sondern von der konkreten Lektüre einzelner Texte ausgehen und Fallstudien erbitten. Neben Theorie- und Wissenschaftsübersetzungen im strengen Sinne interessieren uns ebenso literarische Texte, in denen der Status des Wissens (durchaus auch im Sinne von poetologischen und literaturtheoretischen Fragen) verhandelt wird.
Davon ausgehend stehen die folgenden Fragen im Mittelpunkt:
- Welche Begriffsbildungen werden durch die Praxis des Übersetzens (aus dem Französischen/ins Französische) ermöglicht?
- Welche Funktionen des Übersetzens werden jenseits von Mediation, Vermittlung und Anpassung erkennbar?
- Wie lässt sich die Position marginalisierter Kollektive beschreiben? Inwiefern können Gender und Diversität auch als Analysekategorien für Theorie- und Wissenschaftsübersetzungen fruchtbar gemacht werden?
- In welchem Verhältnis stehen Wissenschafts- und Literaturübersetzungen? Welche Kon-vergenzen lassen sich, trotz aller Differenzen, beobachten?
- Wie wird die Praxis des Übersetzens, die fachliche Zuordnung und die adressierte Leserschaft in den Paratexten thematisiert? Welche Neubestimmungen werden vorgenommen?
- Welche Bedeutung spielen besondere Formen des Übersetzens (z.B. Selbstübersetzungen) für die Kontexte des 17. und 18. Jahrhunderts?
Bibliographie
- Brown, Hilary. 2022. Women and Early Modern Cultures of Translation. Beyond the Female Tradition. Oxford: Oxford University Press.
- Bußmann, Britta et al. (eds.). 2005. Übertragungen. Formen und Konzepte von Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin/New York: de Gruyter.
- Chevrel, Yves et al. 2014. Histoire des traductions en langue française, XVIIIe et XVIIIe siècles (1610-1815). Lagrasse: Verdier.
- Demetriou, Tania/Tomlinson, Rowan (eds.). 2015. The Culture of Translation in Early Modern England and France, 1500–1660. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
- Donato, Clorinda/Lüsebrink, Hans-Jürgen (eds.). 2021. Translation and Transfer of Knowledge in Encyclopedic Compilations, 1680–1830. Toronto: University of Toronto Press.
- Gipper, Andreas/Stefanelli, Diego. 2021. "Die Wissenschaftsübersetzung als Generator symbolischen Kapitals". In: Regina Toepfer et al. (eds.). Übersetzen in der Frühen Neuzeit. Konzepte und Methoden. Berlin/Heidelberg: Springer, 161–184.
- Greilich, Susanne. 2021. "Spanische Enzyklopädie-Übersetzungen als Orte der selbstbewussten Partizipation an aufgeklärter Wissensproduktion". In: Regina Toepferet al. (eds.). Übersetzen in der Frühen Neuzeit. Konzepte und Methode. Berlin/Heidelberg: Springer, 337–354.
- Hottner, Wolfgang (ed.). 2021. Theorieübersetzungsgeschichte, Deutsch-französischer und transatlantischer Theorietransfer im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler.
- Kawashima, Keiko. 2011. "Women's translations of scientific texts in the 18th century: A case study of Marie-Anne Lavoisier". Hist Sci (Tokyo) 21/2, 123–137.
- Klinkert, Thomas. 2010. Epistemologische Fiktionen. Zur Interferenz von Literatur und Wissenschaft seit der Aufklärung. Berlin/New York: de Gruyter.
- Lüsebrink, Hans-Jürgen. 2023. "Übersetzen als Kritik. Zur intellektuellen Dynamik des Übersetzens im Aufklärungszeitalter". In: Ulrike Draesner et al. (eds.). Übersetzen ist Macht. Essays zur Frühen Neuzeit. Hannover: Wehrhahn, 131–142.
- Lüsebrink, Hans-Jürgen. 2021. "The Savary des Bruslons' Dictionnaire universel de commerce: Translations and Adaptions". In: Clorinda Donato/Hans-Jürgen Lüsebrink (eds.). Translation and Transfer of Knowledge in Encyclopedic Compilations, 1680–1830. Toronto: University of Toronto Press, 17–39.
- Mende, Jana-Katharina. 2018. "Macht, Mehrsprachigkeit, Mehrdeutigkeit: Funktionen produktiver Fehlübersetzungen in Adam Mickiewiczs Vorlesungen am Collège de France – Französisch – Polnisch – Deutsch". Quaderna. Dossier "Found in (Mis)Translation" 4, o.P.
- Sanmann, Angela. 2021. Die andere Kreativität. Übersetzerinnen im 18. Jahrhundert und die Problematik weiblicher Autorschaft. Heidelberg: Winter.
- Shahar, Galili. 2023. "Goethe's Song of Songs: Reorientation, World Literature". Prooftexts 40/1, 110–139.
- Spivak, Gayatri Chakravorty. 2012. "The Politics of Translation". In: Gayatri Chakravorty Spivak, Outside in the Teaching Machine. Hoboken: Taylor and Francis, 179‒200.
- Stockhorst, Stefanie (ed.). 2010. Cultural Transfer Through Translation. The Circulation of Enlightened Thought in Europe by Means of Translation. Amsterdam/New York: Rodopi.
- Toepfer, Regina. 2021. "Sektionseinleitung II: Anthropologie und Wissen". In: Regina Toepfer et al. (eds.). Übersetzen in der Frühen Neuzeit. Konzepte und Methoden. Übersetzen in der Frühen Neuzeit. Konzepte und Methoden. Berlin/Heidelberg: Springer, 205–219.
- Toepfer, Regina. 2022. Translationsanthropologie. Philologische Übersetzungsforschung als Kulturwissenschaft. Mit einer exemplarischen Analyse der ersten deutschen Odyssee von Simon Schaidenreisser (1537/38). Hannover: Wehrhahn.
- Venuti, Lawrence. 2008. The Translator's Invisibility. A History of Translation. 2. ed. London: Routledge.
- Willer, Stefan. 2021. "'In deutscher Richtung mit französischem Winde segeln'. Wilhelm und Alexander von Humboldt als Selbstübersetzer". In: Stefan Willer/Andreas Keller (eds.). Selbstübersetzung als Wissenstransfer. Berlin: Kadmos, 95–122.
- Worth-Stylianou, Valérie. 2017. "Transmission du savoir et enjeux linguistiques dans les traités sur la médecine des femmes en France (1530 à 1630)". In: Violaine Giacomotto-Charra/Jacqueline Vons (eds.). Formes du savoir médical à la Renaissance, Pessac: Maison des Sciences de l'Homme d'Aquitaine, 21‒42.
- d'Aquitaine. 21‒42.
25. September
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Die Vorträge werden noch bekannt gegeben.
2. Confluences littéraires Québécoises – Inter- und transkulturelle Aspekte der quebecer Literatur der Gegenwart
L'identité culturelle quant à elle est un processus plus fluide qui évolue de lui-même et qu'il ne faut pas tant percevoir en termes d'héritage du passé qu'en termes de projet d'avenir.
UNESCO (2009) Investir dans la diversité culturelle et le dialogue interculturel.
Rapport mondial de l'UNESCO, 7.
Um die komplexen Aushandlungsprozesse postkolonialer und postmigrantischer kultureller Identitäten von Individuen und Kollektiven auf den Begriff zu bringen, greift die UNESCO 2009 nicht zufällig auf eine fluide Semantik zurück, um Dynamik und Prospektivität zum Ausdruck zu bringen. Dabei liegen bereits viele Konzepte wie mestizaje, Kreolisierung und Hybridität, Transkulturalität, Permeabilität und Interpenetration, Fließen und Emergenz, Kreuzungen (etwa bei den mémoires croisées) und palimpsestartige Überlagerungen, Rhizome, Archipelstrukturen und Relationalität, Transformation und Transmutation vor, die renommierten und anerkannten Theoriebildungen u.a. von José Vasconcelos, Fernando Ortiz, Néstor García Canclini, Édouard Glissant, Homi K. Bhabha, Arjun Appadurai oder Wolfgang Welsch entstammen. Diese Theorien und ihre Konzeptmetaphern sind zwar allesamt Gegenentwürfe zu hermetischen und womöglich homogenen Kulturkonzepten, betonen jedoch mit ihren verschiedenen Bildlichkeiten spezifische Raum-Zeit-Verhältnisse und je unterschiedlich das Spannungsverhältnis von Homogenität und Heterogenität, Grenze und ihrer Überschreitung bzw. gar Auflösung, von Statik und Dynamik etc.
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der Kulturraum Québec, denn hier stehen kulturelle Aushandlungen in einem spezifischen Kontext, der eine spannungsreiche Kolonial- und Gewaltgeschichte mit jenen Erzählungen verbindet, die von Beginn der europäischen Invasion an auch Narrationen von Verständigung, Koexistenz und Allianzen sind. Québec als "collectivité neuve" (Bouchard 1998, vgl. auch Bouchard 2021) mit seiner aus der kolonialen Vergangenheit geerbten kulturellen Diversität (mehreren "Nationen" auf einem Territorium), einer sehr hohen jährlichen Migrationsrate (vielen "ethnokulturellen Gemeinschaften") und seiner Sonderstellung als frankophoner Minderheit auf dem nordamerikanischen Kontinent will die québécitude zu einer erkennbar eigenen gemeinsamen Identität für alle ausbauen und zugleich die interne kulturelle Diversität und Heterogenität einer Gesellschaft als einen Wert und Reichtum erhalten. Demgemäß setzen seit den späten 1980er Jahren die "transculture" nach Nepveu sowie später der spezifisch quebecische Interkulturalismus nach Bouchard/Taylor (2013) dezidiert auf Aushandlung, Kommunikation, Begegnung, Bewegung und "convergence". Im 21. Jahrhundert hat sich in Québec der politische und mediale Diskurs rund um das Thema der kollektiven Identitätsbildung nochmals deutlich verschoben. In den Vorschlägen der Bouchard-Taylor-Kommission zum Interkulturalismus 2008, in der Debatte um die Charte des valeurs québécoises 2013 und im Überdenken der Beziehungen zu den Angehörigen der autochthonen Gemeinschaften in Reaktion auf die 2015 veröffentlichten Berichte der Commission de vérité et réconciliation wird zunehmend auf den Erhalt kultureller Unterschiede neben der Akzentuierung des Gemeinsamen gesetzt.
Diese kulturpolitischen Diskurse spiegeln sich auch in der Literaturproduktion in Québec. Hier treten neben jene Texte der sog. (und mittlerweile als Etikett umstrittenen) littérature migrante etwa von Dany Laferrière oder Marie-Célie Agnant zunehmend Texte, die kulturelle Aushandlungen nicht (nur) vor den Hintergrund von Immigrationsbewegungen, sondern auf unterschiedlichen Ebenen kultureller Verortungen, Zugehörigkeiten und Kontaktzonen innerhalb der quebecischen Literaturen verorten. Monique LaRue etwa fasst das Bewegungsmoments der Raumerschließung als eines der Gründungsmomente Québecs mit der wasseraffinen Metapher des "navigateur" (1996). Die sino-quebecer Autorin Ying Chen lässt in ihren Texten die Opposition von Statik und Dynamik kollabieren und verwendet das Flottieren im Wasser als Chiffre dieser Problematik. In Michel Jeans Roman Tiohtiá:ke (2021) 'fließen' Angehörige verschiedener Premières Nations in den Straßen Montréals zusammen, wo sie eine Schicksals- und Solidargemeinschaft bilden. In Shuni (2019) von Naomi Fontaine gibt ein Bad im Meer Gelegenheit, gemeinsam den Horizont zu betrachten, ohne dass die Blicke sich kreuzen müssen. In den zweisprachigen Gedichtbänden autochthoner Dichter und Dichterinnen wie Joséphine Bacon oder Rita Mestokosho stehen die Textflüsse im Dialog, auch ohne sich zu kreuzen. In Chisasibi (2011) von Richard Vézina werden Autochthone und Allothone als "îles flottantes" bezeichnet, sie sich trotz günstiger Winde nie berühren werden. Abla Farhouds Roman Le sourire de la petite juive (2011) befasst sich mit dem respektvollen 'Umfließen' des kulturell Anderen im Straßentreiben. Und schließlich zeugen literarische Texte wie Romane Bladous Atlantique Nord (2023) davon, dass Menschen in Terre-Neuve über die Meeresströmungen des Atlantiks mit Lebensläufen in Schottland, Island und der Bretagne in ihrer Verschiedenheit verbunden sind.
Vor diesem Hintergrund stellt die vorgeschlagene Sektion nun die Frage nach dem epistemologischen Mehrwert der Konzeptmetapher der "Confluences" für die quebecischen Literaturen des 21. Jahrhunderts und der literarästhetischen Kraft des Fluiden für die Narration kultureller Aushandlungen. Inwiefern kann das fluide Bild der (Fluss-)Wasser identitäre Aushandlungsprozesse in literarischen Texten theoretisch framen und methodologisch für Textanalysen fruchtbar gemacht werden? Inwiefern können literarische "Confluences" Kulturdifferenz akzentuieren, also neben dem Zusammenfließen der Vereinigung auch ein Gemeinsamfließen des Verschiedenen bedeuten? Oder zielen sie auf ein kulturharmoni(sti)sches Bild des Kulturkontakts (vgl. Omhovère 2018) ab, das kritisch zu hinterfragen wäre? Bietet der Blick auf ein konfluentes Moment – in Analogie zu Convivialité – die Möglichkeit, kulturelle Neuerzählungen als fluide Aushandlung ohne Synthetisierung oder Amalgamierung zu denken und sichtbar zu machen? Und inwiefern kann es durch die Betonung der gleichen Materie, nämlich Wasser, den schmalen Grat zwischen Kulturrelativismus und Universalismus in ein breiteres Flussbett überführen?
Die Konzeptmetapher der Confluences soll in der Sektion als analytisches Paradigma und als literarisches Moment anhand konkreter Lektüren (literarischer) Texte verschiedener Gattungen (Narrativik, Essayistik, Poesie, Poetry Slam, Songtexte, Theater, Comic) aus Québec im 21. Jahrhundert auf ihr kulturtheoretisches wie textanalytisches Potenzial überprüft werden.
Die Beiträge der Sektion vorzugsweise in französischer, gerne aber auch in deutscher Sprache können sich befassen mit:
- Perspektiven auf literarische Traditionen, Motive, Topoi und Verfahren der Confluences
- diachronen Unterschieden in den 'fluiden' Bildbereichen des Kulturkontakts seit den 1980er Jahren in Literaturen und Theoriebildung
- literarischen Beiträgen zur renaissance autochtone und ihren spezifischen Metaphern für Kulturkontakt, -konflikt und -konkurrenz
- gattungsspezifischen Bildlichkeiten und literarischen Strategien
- besonderer 'Fluidität' der Mündlichkeit und Performance-Kunst insbes. in der Lyrik
- fluide Text-Bild-Relationen in BD
- dem Theater als Bühne für die Verhandlung von Identitäten in einer breiten quebecer Öffentlichkeit
Bibliographie
- Benassaieh, Afef. 2012. "Après Bouchard/Taylor: Multiculturalisme, interculturalisme et transculturalisme au Québec". In: Patrick Imbert/Brigitte Fontille (eds.). Trans, multi, interculturalité. Québec: Presses de l'Université Laval, 81–98.
- Bouchard, Gérard. 1998. "Le Québec et le Canada comme collectivités neuves. Esquisse d'étude comparée". Recherches sociographiques 39/2–3, 219–248.
- Bouchard, Gérard. 2021 [2012]. L'interculturalisme. Un point de vue québécois. Montréal: Boréal.
- Caron, Jean-François. 2012. "La plume autochtone. Émergence d'une littérature". Lettres québécoise. La revue de l'actualité littéraire 147, 12–15.
- Episkenew, Jo-Ann. 2018. "Mythe, politique et santé". In: Marie-Hélène Jeannotte/ Jonathan Lamy/Isabelle St-Armand (eds.). Nous sommes des histoires. Réflexions sur la littérature autochtone. Montréal: Mémoire d'encrier, 169–191.
- Janssen, Jessica. 2018. "Le mouvement de renaissance littéraire autochtone au Québec: résistance, survivance, résurgence". In: Jean-François Côté/Claudine Cyr (eds.). La renaissance des cultures autochtones: enjeux et défis de la reconnaissance. Québec: Presses de l'Université Laval, 81–94.
- Létourneau, Jean-François. 2017. Le territoire dans les veines. Montréal: Mémoire d'encrier.
- Nepveu, Pierre. 1988. L'Écologie du réel. Montréal: Boréal.
- Nepveu, Pierre. 1989. "Qu'est-ce que la transculture?". Paragraphes 2, 16–31.
- Omhovère, Claire. 2018. "Confluence. Introduction". Commonwealth Essays and Studies 40/2, 5–7.
- Picard-Sioui, Louis-Karl. 2018. "Préface". In: Marie-Hélène Jeannotte/Jonathan Lamy/Isabelle St-Armand (eds.). Nous sommes des histoires. Réflexions sur la littérature autochtone. Montréal: Mémoire d'encrier, 5–8.
25. September
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Die Vorträge werden noch bekannt gegeben.
3. Unterwegs im Anthropozän. Geohistorische Skalierungen frankophoner Reiseliteratur
In der europäischen Literaturgeschichte sind Reisen und Berichte über sie eng mit der Frage der persönlichen Entwicklung verknüpft, angefangen von philosophischen Überlegungen zur Bewegung bei Aristoteles über die peregrinatio academica und die ars apodemica der Frühen Neuzeit, die Grand Tour in der Aufklärung, den Selbstfindungsreisen in der Romantik, den Entdeckungs- und Forschungsreisen – die neben der Acquisition von Wissen häufig auch die persönliche Entfaltung der Reisenden thematisiert – bis hin zum Massentourismus in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Wurde die Natur in der Geschichte der Reiseliteratur in eine entsprechend asymmetrische, funktionale oder eher dynamische Position gebracht – als Wissensobjekt, als Experimentierfeld oder Projektionsfläche subjektiver Erfahrungen, sowie als konsumorientierte Ware – scheinen im Zuge der jüngsten Debatte um das Anthropozän neue Formen des Mensch-Natur-Verhältnisses literarisch ausgehandelt zu werden.
Die Kategorie des Anthropozäns wird einerseits als diagnostisch geochronologisches Konzept der naturwissenschaftlichen Skalierung des Erdzeitalters, in dem der Mensch zum größten Einflussfaktor für planetarische Veränderungen geworden ist, benutzt, andererseits aber auch in den Literatur- und Kulturwissenschaften verwendet, um die epistemischen, anthropologischen und soziokulturellen Bedingungen der asymmetrischen Beziehung des Menschen zu Welt und Natur zu untersuchen. Mit dem Begriff und der Evidenz der globalen Umweltkrise geht ein verändertes Bewusstsein einher, das zunehmend auch die bestehenden (sozio-)kulturellen und materiellen Rahmenbedingungen unseres Mobilitätsverhaltens transformiert und Impulse für künstlerische und literarische Produktionen setzt. In diesem Sinne konzentriert sich die geplante Sektion auf den Versuch einer "[g]eohistorischen Skalierung" der literarischen Gattung der Reiseliteratur (Dünne 2019). Im Hinblick auf das Unterwegssein im Anthropozän lassen sich einerseits kanonische Texte mithilfe innovativer methodischer und theoretischer Ansätze neu interpretieren, andererseits alternative Imaginationen der Reise beobachten. So entwirft etwa Édouard Glissant in La Terre magnétique (2007) eine subjektlose insulare Prosa für die globalisierte Welt, die nicht nur im kulturellen, sondern auch im ökokritischen Sinne gedeutet werden kann. Reiseliteratur übernimmt hier eine "seismographische Funktion" (Ette 2020, 646) für transregionale Dynamiken, interkulturelle Verflechtungen und Globalisierungsprozesse und bezeugt in dieser Hinsicht den zu verzeichnenden Trend der "délocalisation" (Mecke/Donnarieix 2021) in der frankophonen Gegenwartsliteratur.
In der frankophonen Reiseliteratur lassen sich verschiedene kulturgeschichtliche Entwicklungen, Praktiken und Wahrnehmungen von Mobilität verzeichnen – von den romantischen Kutschenreisenden über die modernen Zug- und Autofahrerinnen und Autofahrern bis hin zu den zynischen postmodernen Flugzeugtouristinnen und Flugzeugtouristen. In dieser Hinsicht bestehen wohl die bekanntesten Leistungen der Reiseliteratur einerseits in der geschichtlichen Dokumentation andererseits in der kulturellen Imagination diverser Transportsysteme, die den Reisehabitus und seine materiellen Bedingungen erfassen und prägen (Passalacqua 2009). Oder um mit Régis Debray zu sprechen: "Mettez Jacques le Fataliste dans un TGV ou Tristram Shandy dans un avion long-courrier: ça ne marche plus. Autre véhicule, autre style, autre esprit" (Loehr 2015, 20). Analog zu Debray stellt die Sektion die Frage, welche Verkehrsmittel im Anthropozän gefeiert oder diabolisiert werden, wie Reise erzählt werden kann und welche Haltung die reisenden Subjekte – sofern es diese noch gibt – dabei einnehmen.
Die Sektion möchte folgende Impulse für die Betrachtungen der Reisenarrative im Anthropozän setzen:
- Gattungsgeschichtlich: Wie steht es um die vergangenen und gegenwärtigen Entwicklungen der literarischen Gattung der Reiseliteratur in Bezug auf das Anthropozän? Welche gattungsgeschichtlichen Kontinuitäten und Brüche der Reiseliteratur können ausgelotet werden? Lassen sich kulturelle Vergleiche, gattungsorientierte Unterscheidungen zu verwandten Formen oder Überschneidungen mit Genres wie der Ökopoetik oder der Climate Fiction anstellen?
- Kulturgeschichtlich: Inwieweit ist Reiseliteratur Teil sozialer und kultureller Prozesse und wie trägt sie umgekehrt zu deren Gestaltung bei? Inwiefern sind alternative Reiseerzählungen im Anthropozän nicht nur als ästhetische, sondern auch als gesellschaftliche Kritik oder im Hinblick auf ethische Fragen zu verstehen? Inwieweit tragen diese Literaturen zur Produktion, Konsolidierung und Bewahrung bestimmter Formen der kulturellen und gesellschaftlichen Imagination der Reise und den mit ihnen verbundenen Transportmitteln bei?
- Werkorientiert: Welche Reiseerzählungen sind im Anthropozän (noch) möglich? Welche Rolle nimmt dabei die Natur ein? Inwiefern lassen sich klassische Texte einer ökokritisch, neumaterialistisch oder kulturkritisch ausgerichteten Neulektüre unterziehen? Dazu kann auf komparatistische, intermediale und intersektionelle Ansätze zurückgegriffen werden.
Bibliographie
- Dünne, Jörg. 2019. Kosmogramme: Geohistorische Skalierungen romanischer Literatur. Berlin: August Akademie.
- Ette, Ottmar. 2020. ReiseSchreiben. Potsdamer Vorlesungen zur Reiseliteratur. Berlin/Boston: De Gruyter.
- Mecke, Jochen/Donnarieix, Anne-Sophie (eds.). 2021. La délocalisation du roman: Esthétiques néo-exotiques et redéfinition des espaces contemporains. Berlin et. al.: Lang.
- Passalacqua, Arnaud. 2009. "La mémoire figée des objets mobiles". In: Mathieu Flonneau/ Vincent Guigueno (eds.). De l'histoire des transports à l'histoire de la mobilité?. Rennes: Presses universitaires de Rennes, 303–314.
- Loehr, Joël. 2015. "Au commencement était la route. Littérature romanesque et locomotion". Poétique 177/1, 19–41.
Informationen zu dem Zeitplan folgen in Kürze.
Die Vorträge werden noch bekannt gegeben.
4. Figurationen des Zwielichts. Interdependenzen der Ambiguisierung von Ordnungssprengern an den Epochenschwellen um 1500 und um 1800
Kulturelle Zeitenwenden mit ihren tiefgreifenden gesellschaftsstrukturellen und leitpolitischen, medialen und epistemischen Wandlungsprozessen bringen es mit sich, dass in diesen ‚Perioden des Dazwischen‘ Altes und Neues nebeneinander existiert, sich mitunter spannungsvoll gegenübersteht, zueinander in Beziehung tritt oder sich auch produktiv vermischt. Epochenschwellen (Blumenberg 42016; Gumbrecht 21990) wie die beiden in der Sektion fokussierten Rahmungsphasen der Frühen Neuzeit, die Zeit um 1500 (Kühtreiber/Schichta 2016) als Übergangsspanne zwischen Mittelalter und Renaissance und die sogenannte Sattelzeit um 1800 (Koselleck 1978; Herzog 1978; Käuser 2015) mit der Transition vom vormodernen Zeitalter zur Moderne, zeichnen sich als plurale Zeiten insbesondere dadurch aus, dass in den ca. fünf Jahrzehnten vor und nach dem vor allem symbolisch als Scheidepunkt gesetzten Jahrhundertwechsel Elemente der alten, noch nicht gänzlich überwundenen und jene der neuen, sich bereits ankündigenden kulturellen Ordnung ineinanderfließen.
So stellt zum Beispiel der abendländische Feudalismus des Spätmittelalters sozialgeschichtlich jene kontrastreiche Zeit dar, in der sowohl das althergebrachte Rittertum allmählich seinen Niedergang findet als auch das Bürgertum als neuentstehende mittlere Schicht zwischen Adel und Bauernschaft zunehmend an städtisch-kommunalem und ökonomischem Einfluss gewinnt. Und speziell in Frankreich erfolgt etwa der staatspolitische Übergang vom absolutistischen Gottesgnadentum zur stabilen demokratischen Republik nach 1789 etappenweise über weite Teile des Folgejahrhunderts über verschiedene Ausformungen der konstitutionellen Monarchie. In der Sattelzeit koexistieren, medial betrachtet, außerdem beispielsweise mit wohlbekannter Ganzschrift und Feuilletonroman konventionelle und innovative Publikationsformate. Und wissensgeschichtlich markiert wiederum die Zeit um 1500 zum Beispiel in der Medizin eine Scheidephase (Riha 2016), in der gleichwohl alte und neue Theorien und Praktiken etwa im Lebenswerk eines Paracelsus zusammenfließen.
Auf semantischer Ebene ergibt sich durch die vielfachen gegenseitigen Durchkreuzungen und miteinander eingegangenen Konvergenzen kultureller Manifestationen in solchen Zwischenphasen ein Spiel aus Licht und Schatten. Ebendiese können – ausgehend von den wertenden Hell-Dunkel-Zuschreibungen in Bezug auf die zusammentreffenden Kernepochen – als ‚Epochendämmerungen‘ verstanden werden. Die normativen Semantisierungen setzen die historische Entwicklung zumeist in eine (simplifizierende) teleologische Perspektive, wie an den Kontaktstellen der ersten frühneuzeitlichen Epochenschwelle um 1500 besonders deutlich wird: Schon von ihren Wegbereitern wie etwa Francesco Petrarca – explizit in seinem lateinischen Epos Africa (Petrarca 2007 [1397]) – wird die bevorstehende Überwindung des ‚finsteren‘ Mittelalters durch die an den alten Glanz antiker Hochkultur anknüpfende Renaissance evoziert, die von der humanistischen bis zur aufklärerischen Geschichtsschreibung späterer Generationen fortgeführt wird (Voss 1972; Wörsdörfer 2016). Für den betreffenden Phasenübergang muss sich aus dem Zusammenfluss beider Strömungen, so kann gefolgert werden, eine komplexe Gemengelage unter der Ägide des Zwielichts ergeben. Hinsichtlich der zweiten frühneuzeitlichen Schwelle um 1800 scheint mit der ‚Überschattung‘ der dominanten Lichtmetaphorik der Lumières (Delon 1976; Schalk 1968) durch die blutigen Gräueltaten der Französischen Revolution zwischenzeitlich eine gegenläufige semantische Bewegung zu bestehen, die allerdings für die Folgezeit mit ihren wiederkehrenden revolutionären Marksteinen (1830 und 1848) beispielsweise von Victor Hugo – wie im Vorwort seiner Chants du crépuscule zu lesen (Hugo 1968 [1836]) – poetisch als Dämmerzustand ambiguisiert wird, bei dem noch unklar sei, ob auf ihn ein neuer Tag oder eine lange Nacht anbricht. Auch der Übergang um 1800 kann demnach als ambige Phase des Zwielichts begriffen werden.
Es verwundert daher nicht, dass in der literarischen Produktion dieser diffusen und daher ambivalenten Zeiträume epochaler Transitionen diverse zwielichtige Gestalten Hochkonjunktur haben, fallen in besagte Perioden doch etwa die Anfänge der Hexenverfolgung (Muchembled 1993), die beiderseitigen zeitlichen Ausläufer des Goldenen Zeitalters der Piraterie (Rediker 2004; Requemora/Linon-Chipon 2002) und die erste Hochphase der Revolutionäre – und auch des Brigantentums – während der Terreur (Mettra 2014; Sottocasa). Es stellt sich daher die grundlegende Frage nach dem Einfluss hybrider Schwellenzeiten auf Charakterkonzeptionen in der jeweiligen zeitgenössischen Literatur. Außerdem sind die kontrastiven, oftmals scheinbar widersprüchlichen Zusammenflüsse innerhalb der Handlungsmatrix und Ausgestaltung solcher Protagonisten von maßgeblichem Interesse. Die bei aller Verschiedenheit verbindende Eigenschaft dieser literarischen Figuren stellt die Sprengung der angestammten, insbesondere rechtlichen und / oder moralischen Ordnung dar; sämtliche dieser Gestalten stehen darum außerhalb der gesellschaftlichen und / oder göttlichen Ordnung und befinden sich nicht selten in gefährlicher Nähe zu Verbrechen und Sünde.
So wird zum Beispiel der Teufel, dieser prototypische Rebell par excellence, bezeichnenderweise im Spätmittelalter zum beliebten Protagonisten vor allem der Mysterienspiele (Dupras 2006; Muchembled 2000); diabolische Kreaturen – mal als böse, mal als arme (verlachte) Teufel (Mahal 1999) – bevölkern diese diableries in großer Zahl und bezeugen damit die breit angelegte semantische Spannweite ihres Charakterentwurfs. Auch der Outlaw und Bandit als ‚Sozialrebell‘ (Hobsbawm 2007 [1972]) betritt etwa in der ikonischen Gestalt von Robin Hood (Johnston 2013; Frenzel 2005 [1970]) erstmals nach 1450 die literarische Weltbühne und belegt elaboriert als ehrbarer Dieb in der Räuberromantik (Lüsebrink 1991; Haller 2020) seine genuine Zwielichtigkeit. Nicht zufällig gelangt auch der von kultureller Sprengkraft und semantischer Ambivalenz gekennzeichnete edle Wilde (Kaufmann/Haslinger 2002; Fludernik 2002) im ersten und zweiten Entdeckungszeitalter (Hölz 1986), im 16. und 18. Jahrhundert, in vielfachen Ausgestaltungen innerhalb dieser Schwellenzeiten zu zweimaliger literarischer Blüte. Nicht zuletzt erhält etwa auch die sich über die gesellschaftliche Ordnung und sämtliche sozialen Normen hinwegsetzende, oftmals dämonisierte Femme fatale (Praz 1994 [1970]; Hilmes 1990) als zwielichtiger, faszinierend-gefährlicher Frauentypus in der Schauer- bzw. Schwarzen Romantik und der nachromantischen Übergangsphase ihre eindringlichsten Personifikationen.
Die Vorträge der Sektion gehen anhand dieser und weiterer typologischer oder individualisierter Ordnungssprenger der Untersuchungszeiträume von ca. 1450 bis ca. 1550 und von ca. 1750 bis ca. 1850 zwei zentralen Problem- und Fragestellungen unter dem doppelten Bezugsrahmen von Beeinflussung und Zusammenfluss nach: Erstens soll die These einer reziproken Beeinflussung im Sinne einer Wechselwirkung von historischem Kontext und figuraler Charakterzeichnung eingehend geprüft werden. Dabei steht einerseits aus kulturhistorischer Perspektive der diffuse Kreuzungs- und Konvergenzraum der Epochenschwelle als möglicher ausschlaggebender Faktor für die angenommene Generierung von vermehrt uneindeutigen Typen des Zwielichts zur Diskussion. Der Beleg für eine solche schwellenzeitliche Bedingtheit charakterlicher Ambiguisierung lässt sich in diachronen Vergleichen verschiedener Stoffbearbeitungen – etwa jener des rebellierenden Vasallen (z.B. Renaud de Montauban/Haimonskinder) zwischen hochmittelalterlichen Empörergesten und ihren spät- und nachmittelalterlichen Prosa-Remaniements – erbringen. Andererseits ist aus literaturhistorischer Perspektive der fiktionale Ordnungssprenger als Schwellenfigur und potentieller Vorbote eines epochalen Wandels in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne kann die zu reflektierende wesenhafte Hybridität – etwa bei den theatralisierten Dämonen (z.B. Pan, Pluto) der Vorklassik und den übernatürlichen Verführerinnen (z.B. Vampirinnen, Wasserfrauen) der literarischen Phantastik – als Argumentationsansatz gelten, um ihre Verkörperungen als Symptom gesellschaftlicher Destabilisierungen und epistemologischer Veränderungen zu lesen (Fenske 2023; Wörsdörfer 2022).
Im zweiten Beschäftigungsfeld sollen die semantisch ambivalenten Zusammenflüsse innerhalb der literarischen Charaktere vor dem Hintergrund ihres generativen Leistungsvermögens und, abstrahiert auf eine höhere Ebene, deren Implikationen für eine generelle Kulturentwicklung herausgearbeitet und (neu-)bewertet werden. Zum einen wird die spannungsvolle Fusion als möglicher Motor für die intratextuelle Handlungsdynamik diskutiert, so etwa wenn Luzifer als produktive Störfigur (Eming/Fuhrmann 2020) neben seiner destruktiven Gewalt poietische Potenziale zu aktivieren scheint. Zum anderen sind dabei auch die Interdependenzen zu den jeweiligen Textstrukturen, Gattungspräferenzen und Modi der Darstellung – etwa dem Zusammenspiel von Sublimem und Groteskem (prominent z.B. in Victor Hugos Hernani) und hybriden Gebilden aus Fiktionalität und Faktualität (z.B. in Piratendarstellungen der diversen histoires générales und relations) – genauer in den Blick zu nehmen, um die Bedeutung des Ordnungssprengers auch und gerade für eine stete konzeptionelle Weiterentwicklung und Erneuerung von Literatur innerhalb der umfassenden Kulturlandschaft Frankreichs zu würdigen.
Bibliographie
- Blumenberg, Hans. 42016 [1976]. Aspekte der Epochenschwelle. Cusaner und Nolaner. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Delon, Michel. 1976. "Les Lumières: Travail d'une métaphore". Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 152, 527–541.
- Dupras, Élyse. 2006. "De mauvais diables. De pauvres diables". In: Élyse Dupras (ed.), Diables et saints. Rôle des diables dans les mystères hagiographiques français. Genf: Droz, 203–324.
- Eming, Jutta/Fuhrmann, Daniela. 2020. "Der Teufel und seine poietische Macht. Eine Einführung". In: Jutta Eming/Daniela Fuhrmann (eds.). Der Teufel und seine poietische Macht in literarischen Texten vom Mittelalter zur Moderne. Berlin: De Gruyter, 1–24.
- Fenske, Ann-Kristin. 2023. "Pierre Troterels 'La Philistée' (1627). Demonax' Zauber als dämonischer Tiertraum des Pastoraltheaters". In: Sophia Mehrbrey/Hannah Steurer (eds.). Animal Dreams in Aestetic Media. Comparative Perspectives. Berlin: De Gruyter, 73-100.
- Fludernik, Monika. 2002. "Der 'Edle Wilde' als Kehrseite des Kulturprogressivismus". In: Monika Fludernik/Stefan Kaufmann/Peter Haslinger (eds.). Der Alteritätsdiskurs des edlen Wilden. Exotismus, Anthropologie und Zivilisationskritik am Beispiel eines europäischen Topos. Würzburg: Ergon, 157–176.
- Gumbrecht, Hans Ulrich (ed.). 21990 [1984]. Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Haller, Andreas J. 2020. "Banditen, Piraten und Revolverhelden als gute Gesetzlose". In: Andreas J. Haller (ed.). Mythische Räume der Gesetzlosigkeit in Erzählungen über Robin Hood, Klaus Störtebeker und Jesse James. Von der Typologie des Helden zur Topologie der Gesellschaft. Baden-Baden: Ergon, 17–21.
- Herzog, Reinhart. 1987. "Epochenerlebnis 'Revolution' und Epochenbewußtsein 'Spätantike'. Zur Genese einer historischen Epoche bei Chateaubriand". In: Reinhart Koselleck/Reinhart Herzog (eds.). Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. München: Fink, 195–220.
- Hobsbawm, Eric. 42007 [1972]. Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen. München: Hanser.
- Hölz, Karl. 1986. Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation. Frankfurt am Main: Qumran.
- Hugo, Victor. 1968 [1836]. "Les Chants du crépuscule. Préface". In: Victor Hugo, Œuvres poétiques 1. Avant l'exil 1802–1851. ed. Pierre Albouy. Paris: Gallimard, 811–812.
- Johnston, Andrew James. 2013. Robin Hood. Geschichte einer Legende. München: Beck.
- Kaufmann, Stefan/Haslinger, Peter. 2002. "Der edle Wilde – Wendungen eines Topos". In: Monika Fludernik et al. (eds.). Der Alteritätsdiskurs des edlen Wilden. Exotismus, Anthropologie und Zivilisationskritik am Beispiel eines europäischen Topos. Würzburg: Ergon, 13–29.
- Käuser, Andreas. 2015. "Epochenschwelle 1800. Medienumbruch 2000. Referenzen und Differenzen". In: K. Ludwig Pfeiffer/Ralf Schnell (eds.). Schwellen der Medialisierung. Bielefeld: transcript, 41–62.
- Koselleck, Reinhart. 1987. "Das achtzehnte Jahrhundert als Beginn der Neuzeit". In: Reinhart Koselleck/Reinhart Herzog (eds.). Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. München: Fink, 269–282.
- Kühtreiber, Thomas/Schichta, Gabriele (eds.). 2016. Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren. Die Konstruktion von Epochen in Mittelalter und Früher Neuzeit in interdisziplinärer Sichtung. Heidelberg: Winter.
- Lüsebrink, Hans-Jürgen. 1991. "Französische Brigantenliteratur versus deutsche Räuberromantik? Skizze einer Funktionsgeschichte der deutschen und französischen Brigantenliteratur des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts". In: Jörg Schönert (ed.). Erzählte Kriminalität. Zur Typologie und Funktion von narrativen Darstellungen in Strafrechtspflege, Publizistik und Literatur zwischen 1770 und 1920. Berlin: Niemeyer, 177–191.
- Mahal, Günther. 1999. "Der Teufel. Anmerkungen zu einem nicht allein mittelalterlichen Komplex". In: Ulrich Müller (ed.). Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen: UVK, 495–529.
- Mettra, Mélanie. 2014. La Terreur, le tournant de la Révolution. Une période sombre de l'histoire française. Cork: 50 minutes.
- Muchembled, Robert. 2000. "Satan entre en scène (XIIe–XVe siècle)". In: Robert Muchembled, Une histoire du Diable. XIIe–XXe siècle. Paris: Seuil , 19–52.
- Muchembled, Robert. 1993. Le Roi et la sorcière. L'Europe des bûchers (XVe–XVIIIe siècle).Paris: Seuil.
- Petrarca, Francesco. 2007 [1397]. Africa. 2 Bände. ed. Bernhard Huß/Gerhard Regn, Mainz: Dieterich, IX, V, 451–467.
- Praz, Mario. 41994 [1970]. "La Belle Dame sans Merci". In: Mario Praz (ed.). Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik. München: Fink, 167–250.
- Rediker, Markus. 2004. Villains of All Nations. Atlantic Pirates in the Golden Age. London: Verso.
- Requemora, Sylvie/Linon-Chipon, Sophie (eds.). 2002. Les Tyrans de la mer. Pirates, corsaires et flibustiers. Paris: PUV.
- Riha, Ortrun. 2016. "Tradition, Neuanfang und das 'humanistische Paradox'. Die Epochenschwelle um 1500 in der Medizin". In: Thomas Kühtreiber/Gabriele Schichta (eds.). Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren. Die Konstruktion von Epochen in Mittelalter und Früher Neuzeit in interdisziplinärer Sichtung. Heidelberg: Winter, 93–110.
- Schalk, Fritz. 1968. "Zur Semantik von Aufklärung in Frankreich". In: Kurt Baldinger (ed.). Festschrift Walther von Wartburg. Tübingen: Niemeyer, 251–266.
- Sottocasa, Valérie. 2016. Les Brigands et la Révolution. Violences politiques et criminalité dans le Midi (1789–1802). Paris: Champ Vallon.
- Voss, Jürgen. 1972. Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffs und der Mittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. München: Fink.
- Wörsdörfer, Anna Isabell. 2022. "Im Widerstreit der Zeitregimes. Gautiers Femme fatale als Symptom der Moderne". In: Kirsten von Hagen (ed.). Ein Akteur zwischen den Zeiten, Zeichen und Medien: Théophile Gautier und die Ästhetik der Moderne, Berlin: Erich Schmidt, 337–361.
- Wörsdörfer, Anna Isabell. 2016. "Die Entstehung und Entwicklung eines Zeit- und Geschichtsbewusstseins im 18. Jahrhundert". In: Anna Isabell Wörsdörfer (ed.). Von heroischen Bürgern, tapferen Rittern und liebenden Hirten. Literarische Mittelalterbilder im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter, 36–47.
Informationen zu dem Zeitplan folgen in Kürze.
Die Vorträge werden noch bekannt gegeben.
5. Von den sozialen Rändern aus denken: Zusammenflüsse, Kreuzungen und Intersektionen von Differenzen im literaturwissenschaftlichen Kontext
5A. Zusammenflüsse sozialer Ränder: Zum Überdenken der Normen in französischsprachiger Literatur und Film
Die sozialen Ränder, nicht (nur) in ihrem politischen Ausmaß, sondern insbesondere auf Gesellschaftsebene begriffen (Teubner 2016), werden häufig durch ihre Nicht-Teilhabe an dem Normleben der Gemeinschaft definiert, einem Desinteresse an sämtlicher Bestätigung eines normalisierten Lebensstils oder einem gesellschaftlichen Ausschluss, sei er frei- oder unfreiwillig (Goffman 1963; Puaud/Guo 2020). Allerdings können die sozialen Ränder, wenn man sie – im Gegensatz zum Peripheriekonzept, welches auf ein eigenständiges Gemeinschaftsleben verweist, das abgelöst und alternativ zum Zentrum steht – in ihrem Verhältnis zum Zentrum betrachtet, das soziale Normen prägt, Räume des Hinterfragens verkörpern und somit, insbesondere in der Zusammenlegung des Diskurses, den sie verfolgen, als ebenso konstruktive Elemente und gerade dadurch als Teilhabe an der Entwicklung des kollektiven Lebens des Zentrums betrachtet werden. Indem wir über die Grundlagen der Norm selbst nachdenken und über das, was das Zentrum charakterisiert, schafft der Diskurs der Ränder eine wechselseitige Dynamik (Corin 1986), die gewisse Teile des Zentrums-Diskurses ans Licht bringt, welche im Laufe der Zeit überfällig geworden sind. Auf diese Weise wirken die Ränder als Katalysatoren sozialen Wandels auf das Zentrum ein (Taylor 2016). Darüber hinaus lässt sich häufig feststellen, dass soziale Bewegungen an den Rändern beginnen, um unsere soziale Wahrnehmung zu beeinflussen: #MeToo geht von der Diskriminierung der Frauen in patriarchalen Strukturen aus; #BlackLivesMatter protestiert gegen die Gewalt, die Afroamerikaner*innen in einer eurozentrisch geprägten Gesellschaft erfahren (Nummi/Jennings/Feagin 2019); das Akronym LGBTQ2+ hat einen inklusiveren Diskurs in unseren zeitgenössischen Gesellschaften hervorgerufen; das Ergreifen des Wortes durch Indigene in Kanada schließlich hat den Weg zu einem gesellschaftlichen Versöhnungsprojekt geebnet, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Diese konstruktive und produktive Perspektive, die aus Zusammenflüssen von Rändern hervorgeht, steht im Fokus unserer Untersektion. Dabei können etwa folgende Fragen betrachtet werden:
- Inwiefern und wie genau tragen die Ränder zur Konstruktion der Gesellschaft bei, und haben sie auf diese Weise einen Einfluss auf die Darstellung der Normen durch das Zentrum?
- Wie begegnen sich die verschiedenen Ränder? Besteht eine Art Solidarität, die sich zwischen den verschiedenen Räumen des Randes abzeichnet?
- Welche narrativen und literarischen Strategien tragen dazu bei, solche Zusammenflüsse darzustellen bzw. sogar zu schaffen? Inwiefern wird zu diesem Zweck Intertextualität eingesetzt?
- Inwiefern schafft Literatur imaginäre Ränder, um beim Zentrum solche Dynamiken der Reflexion hervorzurufen?
Die Untersuchung der Ränder kann folglich Perspektiven aus verschiedenen Disziplinen umfassen, wie die Gender und Queer Studies, z.B. Gloria Anzaldúa (1987), Judith Butler (2007) sowie Florian Grandena und Pierre-Luc Landry (2022), postkoloniale Ansätze, inklusive Intersektionalität und die Überlegungen zu den Subalternen von Gayatri C. Spivak (1983) und Homi K. Bhabha (1996), ebenso wie der Ecocriticism (Meeker 1972; Garrard 2004), insbesondere durch das Comeback des Intertextes von Henri David Thoreau (1849; 1854) in der aktuellen Öko-Literatur. Die untersuchten Werke können sämtlichen literarischen Gattungen – Roman, Lyrik und Theater – sowie dem Film entstammen. Besonderes Interesse gilt der Gegenwart, dem Beginn des 21. Jahrhunderts, doch auch eine historische Perspektive ist willkommen, sei sie eine andere Epoche selbst, etwa die sozioökonomischen Ränder in Notre Dame de Paris (1831) von Victor Hugo oder die außerhalb der Norm liegende Figur des Vagabunden in Le Survenant (1945) von Germaine Guèvemont, sei es eine Historiografie, etwa die Ränder der Franko-Amerikanität in L’année la plus longue (2015) von Daniel Grenier. Ebenso kann es sich um das Erkunden von Anti-System-Bewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts handeln, vom Einfluss der Beat Generation bis hin zum Ausdruck einer starken Abneigung gegen die Gesellschaft, wie er sich etwa in der Punk-Musik der 1970er Jahre zeigt und deren Einfluss noch in einigen Texten zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu finden ist. Ziel dieser Sektion ist es, anhand eines weiten Korpus und vielfältiger Perspektiven die dynamische und konstruktive Rolle der Ränder auszuloten.
Bibliographie
- Anzaldúa, Gloria E. 2012 [1987]. Borderlands/La Frontera. The New Mestiza. San Francisco: Aunt Lute.
- Bhabha, Homi K. 1996. "Unsatisfied. Notes on Vernacular Cosmopolitanism". In Laura García-Moreno/Peter C. Pfeiffer (eds.). Text and Nation. Cross-Disciplinary Essays on Cultural and National Identities. Columbia: Camden House, 191–207.
- Butler, Judith. 2007. Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. Abingdon: Routledge.
- Corin, Ellen. 1986. "Centralité des marges et dynamique des centres". Anthropologie et sociétés 10/2, 1–21.
- Crenshaw, Kimberlé. 1989. "Demarginalizing the Intersection of Race and Sex. A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics". University of Chicago Legal Forum 5/1, 139–167.
- Garrard, Greg. 2004. Ecocriticism. London: Routledge.
- Goffman, Erving. 1963. Stigma. Notes on the Management of Spoiled Identity. Englewood Cliffs: Prentice-Hall.
- Grandena, Florian/ Landry, Pierre-Luc. 2022. La guerre est dans les mots et il faut les crier. Montréal: Triptyque.
- Hooks, Bell. 2000 [1984]. Feminist Theory. From Margin to Center. London: Pluto.
- Meeker, Joseph W. 1972. The Comedy of Survival. Studies in Literary Ecology. New York: Scribner.
- Nummi, Jozie et al. 2019. "#BlackLivesMatter: Innovative black resistance". Sociological Forum 34, 1042–1064.
- Puaud, David/Guo, Wenjing. 2020. "Le marché des marges sociales". Journal des anthropologues. Association française des anthropologues 160–161, 29–34.
- Spivak, Gayatri Chakravorty. 2010 [1983]. "Can the subaltern speak?". In Rosalind Morris (ed.). Can the subaltern speak? Reflections on the history of an idea. New York: Columbia University Press, 21–78.
- Taylor, Keeanga-Yamahtta. 2016. From #BlackLivesMatter to black liberation. Chicago: Haymarket.
- Teubner, Gunther. 2016. Fragments constitutionnels. Le constitutionnalisme sociétal à l'ère de la globalisation. Paris: Classiques Garnier.
- Thoreau, Henry David. 2017 [1849]. La désobéissance civile. Trad. Jacques Mailhos. Paris: Gallmeister.
- Thoreau, Henry David. 2017 [1854]. Walden. Trad. de l'américain par Jacques Mailhos. Paris: Gallmeister.
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Die Vorträge werden noch bekannt gegeben.
5B. Zusammenflüsse sozialer Ungleichheiten in den frankophonen Literaturen und Medien: Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf Intersektionalität
Das Konzept der Intersektionalität bietet sich in besonderem Maße an, vergangene und gegenwärtige Machtverhältnisse in ihrer Verwobenheit zu verstehen. Es entwickelt sich aus der Beobachtung der Existenz von Mehrfachdiskriminierungen in der Gesellschaft. Seine Ursprünge sind in der Entwicklung eines Black Feminism seit den 1970er Jahren zu finden, der die intersektionale Wechselwirkung von Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft in den Blick nimmt. Die Wortbildung geht auf Kimberlé Crenshaw (1989) zurück, die ihn aus der visuellen Metapher der Straßenkreuzung entlehnt. Seitdem werden mit dem Begriff der Intersektionalität unterschiedliche Formen mehrfacher Diskriminierung in der Gesellschaft beschrieben, wobei neben den Kategorien von race, class und gender in den vergangenen Jahren weitere Kriterien sozialer Differenz und Diversität, wie etwa Alter, Religion oder Disabilität, hinzugekommen sind. Wie Winker/Degele 2009 herausstellen, handelt es sich bei der Intersektionalität um einen eher "rudimentär ausgearbeiteten Theorieansatz" (11), der darüber hinaus in den Literaturwissenschaften erst in jüngerer Zeit Beachtung gefunden hat (vgl. Krass 2014, 17; vgl. Klein/Schnicke 2014)). Während die Gender, Queer oder Postcolonial Studies separat betrachtet feste theoretische Spielfelder der Literaturwissenschaft sind, findet man sie in ihrer intersektionalen Verknüpfung weniger stark in den Literaturen angewandt. Ziel der Sektion ist es, sich dieses Forschungsdesiderats anzunehmen und sowohl aus einer theoretischen als auch aus einer analytischen Perspektive Zusammenflüsse und Wechselwirkungen sozialer Ungleichheiten in den frankophonen Literaturen und Medien zu betrachten. Wie Räthzel dies für die intersektionale Forschungsperspektive im Allgemeinen definiert hat, stehen damit "kontextspezifische Untersuchungen der Überschneidungen und des Zusammenwirkens verschiedener gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen und -praktiken" (2004, 253) im Fokus. Erwünscht sind somit aus einer diachronen Perspektive sowohl Einzelstudien als auch vergleichende Arbeiten, die sich mit den Auswirkungen von Macht und Herrschaft auf literarische Konstruktionen und Verhandlungen von multidirektional marginalisierten Identitäten beschäftigen. Es soll somit die grundsätzliche thematische Repräsentation von Mehrfachdiskriminierungen im Kontext von rassistischen und sexualisierten Gewaltformen sowie weiteren ideologisch motivierten Abwertungsmechanismen beleuchtet werden. Aus einer biopolitischen Sichtweise spielt dabei sicherlich der Körper als Spielfeld von Machtpraktiken eine entscheidende Rolle, wie insbesondere in postkolonialen Narrativen sichtbar wird. Doch auch Fragen von Autorschaft sollen berücksichtigt werden, die sich einerseits in ihrer narratologischen Konkretisierung betrachten und andererseits im soziologischen Kontext von Verlagswesen und Marktgesetzen kontextualisieren lassen.
Schwerpunkte und Fragestellungen dieser Sektion lassen sich um folgende mögliche Themenfelder zentrieren:
- Welche theoretischen Analysemodelle von Intersektionalität lassen sich aus den Literaturwissenschaften entwickeln und wie lassen sich diese praktisch anwenden?
- Welche thematischen, visuellen und narratologischen Repräsentationen von Mehrfachdiskriminierung finden sich in Literatur und Medien?
- Welche literarischen und visuellen Konstruktionen von Identitäten in Wechselwirkung zu sozialen Machtstrukturen lassen sich in Literaturen und Medien herausfiltern?
- Wie lässt sich Intersektionalität im Kontext von Verlagswesen und Marktgesetze konzeptualisieren?
Bibliographie
- Klein, Christian/Falko Schnicke. 2014. Intersektionalität und Narratologie: Methoden, Konzepte, Analysen, Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
- Krass, Andreas. 2014. Einführung: "Historische Intersektionalitätsforschung als kulturwissenschaftliches Projekt". In: Andreas Krass et al. (eds.). Durchkreuzte Helden. Das 'Nibelungenlied' und Fritz Langs Film 'Die Nibelungen' im Licht der Intersektionalitätsforschung. Bielefeld: transcript, 7–51.
- Räthzel, Nora. 2004. "Rassismustheorien: Geschlechterverhältnisse und Feminismus". In: Ruth Becker/Beate Kortendiek (eds.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 248–256.
- Winker, Gabriele/Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld: transcript.
- Yekani, Elahe Haschemi et al. 2022. Andere Sichtweisen auf Intersektionalität. Revisualising Intersectionality. Wiesbaden: Springer.
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