Schwester Vestina Kitzhofer
Thema: Berufung, Gemeinschaft, Glaubenszeugnis
M1: PNP, 27.05.2015, Nr. 119, S. 3
Die wohl älteste Schulleiterin Deutschlands
Was für ein Bekenntnis: "Ich bin nicht gerne in die Schule gegangen", sagt Schwester Vestina. Bald ist sie seit 50 Jahren Lehrerin an der Mädchen-Realschule Neustift im Landkreis Passau. Jetzt wurde sie 75 Jahre alt und leitet immer noch die Schule.
von Helmuth Rücker
Sie ist nur 1,58 Meter groß, aber nicht zu übersehen. Im Foyer, im Treppenhaus, in der Aula, in den Fluren und vor dem Direktorat hängen bunte Portraits von Sr. Vestina Kitzhofer. Die 320 Schülerinnen der Columba-Neef-Realschule Neustift (Gemeinde Ortenburg) und ihre Lehrer haben nach Andy-Warhol-Manier ihre Schulleiterin in den buntesten Farben gemalt. Es ist eines der vielen Zeichen dafür, wie sehr sie die Schulleiterin mögen und schätzen. Ausgemalt wurden die Bilder heimlich, damit sie die Klosterschwester an ihrem 75. Geburtstag damit überraschen konnten.
Das ist nicht leicht bei einer Schulleiterin, die hellwach ist und jede kleinste Veränderung in ihrem Schulhaus, in dem sie seit 49 Jahren unterrichtet, registriert. Die Mädchen im Alter von 10 bis 16 Jahren waren eingeschworen worden, sich ja nicht zu verplappern. So gelang die zweite große Überraschung: Die Schule schenkte Sr. Vestina eine Wallfahrt zum Bruder-Konrad-Haus. Das Herz ging der zurückhaltend auftretenden Klosterfrau auf angesichts des langen Pilgerzugs – Sr. Vestina selbstredend an der Spitze laufend.
Zu ihrem 70. Geburtstag hatte ich sie – ein Reporter darf sich das erlauben – gefragt, wann sie denn gedenke, aufzuhören. "So lange mir Gott die Kraft und Gesundheit dazu gibt, mache ich weiter." Beim 75. Geburtstag folgte auf die gleiche Frage die gleiche Antwort, wenngleich nach einem kleinen Zögern der Nachsatz kam: "Irgendwann werde ich wohl aufhören, damit ein frischer Wind ins Haus kommt." Als sie dann noch erfährt, dass sie womöglich die älteste Schulleiterin Deutschlands ist, winkt sie mit der rechten Hand, als ob sie so den Gedanken wegwischen könnte.
Ein Anruf beim Katholischen Schulwerk Bayern verschafft Sicherheit. "Ich kenne keine ältere Schulleiterin", bestätigt Dr. Andreas Hatzung. Die Rechnung ist simpel: Weltliche Schulleiter hören spätestens mit dem Erreichen des Rentenalters auf, "und bei den Ordensleuten weiß ich keine ältere Schulleitung". Und deutschlandweit? Das könnte die Deutsche Bischofskonferenz wissen. Dort kann sich der Referent kaum eine ältere Schulleiterin vorstellen, aber man habe keine gesicherten Daten. Eine halbstündige Suche bei Google führt zu keinem Treffer. Dort finden sich lediglich Einträge, wo ehemalige Schulleiter ihren 75. oder 80. Geburtstag feiern.
Rektorin ist sie schon seit 30 Jahren
Seit 49 Jahren ist Sr. Vestina Lehrerin für Englisch und Geschichte, davon 30 Jahre zusätzlich Rektorin. Ist dieser Beruf ihre große Berufung? "Nein", sagt sie entschieden. "Ich war nie gern Schülerin." Sie, die auf einem Bauernhof mit fünf Geschwistern aufgewachsen war, ertrug die Enge der Klassenzimmer nicht, fühlte sich im Internat, in das sie mit 13 kam, eingesperrt. Sie tollte gerne über Wiesen und in Wäldern und musste nun als junges Mädchen innerhalb von Klostermauern leben. Auffallend war allerdings, dass Schülerinnen, die sich schwerer taten, an ihre Seite gesetzt wurden. Sie übte einen positiven Einfluss auf ihre Mitschülerinnen aus.
Mit 16 hatte sie die Mittlere Reife und bewarb sich um eine Lehre "irgendwo im Büro". Das war 1956. Irgendwie klappte es nicht. Da kam das erste Mal der Gedanke auf, vielleicht im Kloster zu bleiben. Großmutter und Firmpatin unterstützten sie darin. Und so sollte aus der Neustifter Schülerin, die mit sechs Jahren mit ihrer Familie aus Böhmen vertrieben worden war und bei Iggensbach im Landkreis Deggendorf eine neue Heimat fand, eine "Benediktinerin der Anbetung" werden. Und sie bekam eine Tätigkeit im Büro.
Als sie 19 war, sprach sie die damalige Oberin Mutter Eugenia an. Die junge Klosterschule wuchs und brauchte Lehrer. Die junge Klosterschwester fügte sich dem Wunsch, machte in München das Abitur und studierte an der dortigen Uni Lehramt. 1966/67 kam sie als ausgebildete Lehrerin an ihre Schule Neustift zurück. "So ist’s halt geworden", sagt Sr. Vestina öfter. Es ist ihre Art, sich dem Lauf des Lebens zu fügen. Ist sie glücklich? Sie denkt lange nach. "Ich bin zufrieden." Es klingt nicht resigniert, sondern ehrlich. Zufriedenheit sei eine Form des Glücks.
Ihre eigenen Schul-Erfahrungen haben sie geprägt. "Eine Schülerin soll sich bei uns wohl fühlen, auch wenn ihr das Schülersein schwerfällt", sagt Sr. Vestina. Das hat sie gütig werden lassen. Ihre Tür steht immer offen. "Man kann mit ihr reden", sagen Achtklässlerinnen. "Sie versteht unsere Nöte und Sorgen." Andere Lehrkräfte gehen heim zu ihren Familien – Sr. Vestina ist immer da.
"Güte und Strenge, beides muss gelingen" Sie hört zu. Das reicht oft. Sie selbst ist keine große Rednerin. Sie hält ihre eigene Persönlichkeit bescheiden zurück. Sie überlegt lange, bis sie antwortet. Das schafft beim Gegenüber ein Gefühl des Vertrauens, ja sogar der Geborgenheit. Und so kommen Mädchen mit Kummer zu ihr oder wenn sie sich zerstritten haben, aber auch abends noch, wenn daheim etwas Schlimmes passiert ist.
Andere Lehrer treibt das schon mal zur Verzweiflung. Nicht, dass Sr. Vestina verhängte Disziplinarmaßnahmen unterläuft, aber ihre verständnisvolle Art nimmt der gewollten Strenge die Schärfe. "Güte und Strenge", sagt Sr. Vestina, "beides muss gelingen." Es gehört zum Geist der Schule, niemanden aufzugeben, niemanden fallen zu lassen. "Wer da ist, soll durchkommen", sagt Sr. Vestina, die davon überzeugt ist, dass die Realschule die beste Schullaufbahn ist. "Danach können sie weitermachen." Sie würden als gefestigte Persönlichkeiten alle ihren Weg machen. "Sr. Vestina kennt sie fast alle noch mit Namen", sagt Konrektorin Beatrix Kröninger bewundernd. In ihrer Laufbahn waren das mehr als 2000.
Die Schule ist Sr. Vestinas Leben. Das war, eingebunden in die Klostergemeinschaft, ihre Aufgabe. Junge Menschen zu formen und zu fördern, haben Ordensgemeinschaften schon immer als besonderen Auftrag verstanden. Der Glaube und die klösterlichen Rituale sind ihnen dabei Stütze, aus dem Gebet schöpfen sie Kraft. Um 5.05 Uhr steht die Klostergemeinschaft auf, um 5.20 Uhr ist Chorgebet, es folgt eine Meditation und um 6.30 Uhr die Heilige Messe. Um 17.15 Uhr wird nach dem Tageswerk eine Vesper gefeiert, um 19.30 Uhr wird mit einem Komplet der Tag beendet, dazwischen sollte jeder Zeit und Muße für eine einstündige Anbetung finden. "Der Mensch braucht Glauben", sagt Sr. Vestina sinnierend.
Fast 50 Jahre Lehrerin – was hat sich in dieser Zeitspanne geändert? "Die Mädchen sind selbstbewusster geworden. Sie nehmen das Leben besser in die eigene Hand." Sorgen bereiten ihr die Gefahren der modernen Gesellschaft, vor allem des Internets. "Wie sich die Schülerinnen in den sozialen Netzwerken beschimpfen", fängt sie den Satz an, um ihn aber nicht zu Ende zu führen, sondern tröstend festzustellen: "Es gab immer schon Positives und Negatives."
M2: Bilder von Schwester Vestina Kitzhofer
M3: Didaktische Impulse
1. Stellt euch vor, euer Schulleiter würde auch über sein Rentenalter hinaus eure Schule leiten. Sammelt Ideen, wie ihr zusammen mit euren Lehrern sein besonderes Engagement ehren könntet. Vielleicht findet ihr auch etwas, was ihr gerne umsetzen und eurem Schulleiter zum nächsten runden Geburtstag oder zu seiner Verabschiedung schenken wollt!
2. Übernimm in Gedanken die Rolle (d)eines Schulleiters. Notiere dir, wie das Schulleben mit dem Lehrerkollegium, mit den Schülerinnen und Schülern und dem restlichen Schulpersonal (Hausmeister, Reinigungskräfte, etc.) sein müsste, damit du gerne Schulleiter wärst und auch im Alter von 65 Jahren noch weitermachen würdest. Schreibe dabei auch Wahlfächer, Veranstaltungen und Aktionen auf, die es an deiner Schule geben sollte und die für dich zu einer "guten" Schule und zu einem angenehmen Schulklima beitragen!
3. Überlegt euch, inwiefern ihr mit eurem Verhalten gegenüber Mitschülern, Lehrern, Direktorat, Hausmeister, ... bereits zu einem guten Schulklima beiträgt! Solltet ihr an eurem Verhalten noch etwas ändern? Gibt es außerdem Möglichkeiten, ein paar eurer Vorstellungen eines guten Schulklimas und Schullebens bezüglich Aktionen, Gruppen, Veranstaltungen,etc. , die eure Schule noch nicht anbietet, zu verwirklichen?