Von Anna Mayr
Als Stefanie Wehner im Jahr 2022 in Ghanas Hauptstadt Accra die beiden jungen Frauen Juliana und Mathilda trifft, ist sie tief bewegt. „Das war sehr emotional. Wir haben uns an einem Sonntag getroffen und sie hatten noch nichts gefrühstückt, weil sie noch kein Geld verdient hatten“, erinnert sie sich.
Stipendiatinnen lebten unterhalb der Armutsgrenze
Juliana ist damals 21, Mathilda 24 Jahre alt. Beide stammen aus dem ländlichen Norden Ghanas und arbeiten in der südlichen Hauptstadt als sogenannte Lastenträgerinnen. Auf den belebten Märkten transportieren sie Waren auf dem Kopf – für einen Lohn, der nicht einmal für drei Mahlzeiten und eine Unterkunft reicht. Dabei sprechen beide sehr gut Englisch und haben das westafrikanische Zentralabitur. Wehner überlegt, was sie tun kann: „Ich habe selbst keine Kinder und muss niemanden durchs Studium bringen.“ Sie finanziert den beiden eine Krankenpflegeausbildung – und gründet schließlich den Verein Care4Her e.V.. Die Idee: Jungen, mittellosen Frauen aus dem Norden Ghanas durch ein Stipendium eine Ausbildung zur Pflegefachkraft, Hebamme oder sogar Medizinerin ermöglichen.
Juliana stammt aus dem Dorf Nayorku im Norden des Landes und wächst in einer Großfamilie auf. Mathilda ist Halbwaise und kommt aus Wale Wale im Nordosten. Schon während der Schulzeit arbeiten beide als Lastenträgerinnen, um sich Bücher und Schulmaterial leisten zu können. Zwar ist der Schulbesuch in Ghana offiziell kostenlos, doch es fehlt an allem: Schulbüchern, Essen, Uniformen, Lehrpersonal.
„Ich war bei einer Schule zu Besuch, da gab es keine Tafel an der Wand und keine Möbel. Die Lehrer kommen vielleicht drei oder vier Tage die Woche, weil sie in der Stadt wohnen und nicht im Dorf sein wollen“, berichtet Wehner. Dass es junge Frauen unter diesen Umständen überhaupt bis zum Abitur schaffen, ist für sie bewundernswert. „Die beiden haben sich durch dieses harte Schulsystem mit wenigen Ressourcen gekämpft – und dann auch noch den Mut, 800 Kilometer in die Hauptstadt zu gehen, auf der Straße zu schlafen und sich durchzubeißen.“
Stefanie Wehner arbeitet seit 2005 am Lehrstuhl für Anthropogeographie an der Universität Passau, hat in Südostasienwissenschaften promoviert und Geografie studiert. Mehr als drei Jahre lang koordinierte sie ein Forschungsprojekt zu den Ursachen und Auswirkungen von Migration in Ghana, Nigeria und Burkina Faso. Aus der wissenschaftlichen Arbeit entstand schließlich das Hilfsprojekt.
In Ghana leben etwa 70 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.Das Land befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Eine selbstverschuldete Währungskrise, verschärft durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, hat das Land hart getroffen. Besonders die ländlichen Regionen leiden. Außerhalb der Landwirtschaft gibt es auf dem Land kaum Arbeitsplätze und die meisten Familien sind kleinbäuerliche Selbstversorger. Durch den Klimawandel und Bodenauslaugung verschärfen sich die Bedingungen zudem.
Die Menschen in den Städten verdienen kein Geld mehr und können nichts mehr an ihre Familien auf dem Land schicken. Dort wiederum fehlen die Mittel für Saatgut und Dünger. Zwar gebe es seit Ende Dezember eine neue Regierung und der Währungskurs hat sich etwas stabilisiert, aber nicht auf dem selben Wert wie vor der Krise.
Hinzu kommen tief verwurzelte Rollenbilder. „Besonders in Nordghana gilt es als Aufgabe der Frau, sich um Hof, Haus, Herd und Kinder zu kümmern“, sagt Wehner. Wenn Familien Geld übrig haben, investieren sie meist in die Bildung der Jungen.
Der Verein Care4Her e.V. unterstützt aktuell elf junge Frauen. Acht von ihnen haben ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft, Hebamme oder Medizinerin bereits begonnen, drei weitere bereiten sich auf den Einstieg vor. Die Stipendien decken nicht nur Studiengebühren ab, sondern auch Unterkunft, Verpflegung und Lernmaterialien. Die Teilnehmerinnen unterschreiben einen Vertrag, der regelt, dass sie nach Abschluss der Ausbildung drei Jahre lang zehn Prozent ihres Gehalts an den Verein zurückzuzahlen. „So entsteht ein Kreislauf und die Organisation wird unabhängiger von deutschen Spendern“, erklärt Wehner.
Wie viel Gutes das Projekt bereits bewirkt hat, zeigt sich an den Geschichten der ersten Stipendiatinnen: Mathilda hat ihre Ausbildung zur Gemeindeschwester abgeschlossen und kann nun direkt ins Berufsleben einsteigen oder sich weiterqualifizieren. Juliana wird voraussichtlich 2027 ihr College beenden.
Für Wehner ist das Projekt und der Verein aus vielen Gründen eine Herzensangelegenheit. „Hier in Deutschland ist es so einfach, gute Bildung zu bekommen. Dort ist es so schwierig“, sagt sie.Und auch das Thema Pflege beschäftigt sie: „Wir steuern auf eine Pflegekrise zu. Ich habe zusätzlich keine Kinder und überlege mir schon, wie das später wird.“ Letztlich hilft der Verein nicht nur den Frauen, sondern der ganzen Familie. „Diese Frauen dort sind keine Großverdienerinnen, aber wenn sie jeden Monat ein bisschen Geld an ihre Familien schicken, ist das eine großartige Unterstützung“, sagt sie.
Eine Ziege und ein Perlhuhn als Dankeschön
Zu Mathilda und Juliana hat Wehner ein sehr persönliches Verhältnis. Als sie zu Besuch eingeladen wird, empfangen die Familien sie mit großer Herzlichkeit und Dankbarkeit. „Das war ganz, ganz berührend“, blickt sie zurück. Sie bekommt ein in Deutschland eher untypisches Geschenk, eine Ziege und ein Perlhuhn: „Für die Menschen dort ist das extrem wertvoll. Später hat mir jemand erklärt, dass das noch mal außergewöhnlicher ist als ich sowieso schon gedacht hatte“, sagt sie. Wehner schenkt die Tiere schließlich an ein Waisenhaus im Dorf weiter. Mit vielen der Frauen und Familien ist sie per WhatsApp in Kontakt, manche davon schicken ihr jeden Sonntag eine „Happy Sunday“-Nachicht.
Weitere Informationen zu Care4HEr e.V: www.care4her.net
1. Tausche dich mit einem Partner oder einer Partnerin darüber aus, welche Unterschiede es zwischen Bildungschancen in Ghana und Deutschland gibt.
2. Sprecht darüber, wie es sich anfühlt, wenn Bildung in Deutschland selbstverständlich ist, in anderen Ländern aber ein harter Kampf.
3. Entwickelt als Klasse eine Aktion, um Care4Her oder ein ähnliches Projekt zu unterstützen – z. B. ein Spendenlauf, eine Infoveranstaltung, eine Social-Media-Kampagne.