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Schulprojekt Christiane Karlstetter

Lernen an historischen Persönlichkeiten

M1: Beschreibung des Projekts

Thema: Lernen an historischen Persönlichkeiten
Lehrplanbezug (HS/ 7. Klasse)

7.5 Wer bin ich, wie will ich werden? – Auf der Suche nach sich selbst.

Lernbereich: Persönlichkeitsbildung und christlicher Glaube

Die folgende Unterrichtsstunde kann im Lehrplan für die bayerischen Mittelschulen in der 7. Jahrgangsstufe verortet werden. Unter dem Leitmotiv „Selbstwertgefühl – sich angenommen wissen und sich bejahen können“ sollen die Schüler/innen in ihrer Identitätsfindung unterstützt werden, indem sie, unter anderem anhand verschiedener Leitfiguren, damit beginnen herauszufinden wer sie selbst sind und wie sie einmal sein möchten. (Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Kultus und Bildung 2004, 24)

Ziel

Die Schüler/innen erkennen, dass die „großen Persönlichkeiten“ der Geschichte in ihrer Denkweise und ihren Einstellungen nicht so weit entfernt sind, als oft angenommen wird. Anhand dieser Annäherung wägen die Schüler/innen ihre eigenen Einstellungen und Werte ab und fühlen sich mit der Denkweise historischer Persönlichkeiten verbunden, begegnen ihnen kritisch oder grenzen sich von ihnen ab. Diese Unterrichtsstunde soll einen Teil dazu beitragen, dass die Schüler/innen sich selbst besser kennen lernen und dadurch auch in ihrer Identitätsfindung unterstützt werden.

Kompetenzerwerb

Diese Unterrichtsstunde fördert vor allem die Selbstkompetenz aller Schüler/innen. Durch die Auseinandersetzung mit fremden Biographien merken sie schnell, wie sie gerne sein und wie sie nicht sein möchten. Dies ermöglicht ihnen, je tiefer sie sich auf diese Persönlichkeiten einlassen, immer mehr zu sich selbst zu finden und so in ihrer eigenen Identität und somit auch in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt zu werden. Dadurch wird bei den Schüler/innen auch die Urteilskompetenz gestärkt. Diese ist unbedingt notwendig um Gedanken, Einstellungen und Werte als positiv oder negativ zu beurteilen und so für sich selbst zu entscheiden, was davon man für seinen eigenen Lebensweg mitnehmen will und was nicht.

M2: Verlaufsschema im Überblick

Artikulation

Lehrer-Schüler-Interaktion

Medien und Sozialform

Einstieg:

L verteilt Zitate historischer Persönlichkeiten (ohne Angabe der Namen)

Diese werden vorgelesen, in die gestaltete Mitte gelegt und eine Kerze dazu angezündet.

Zettel mit Zitaten

Tücher, Kerzen (Mitte)

Sitzkreis

Eindruck:

 

 

Ausdruck:

Die Schüler/innen werden aufgefordert ein Zitat auszuwählen und zu begründen, warum dieses Zitat ausgewählt wurde.

Die Schüler/innen überlegen, welcher Typ Mensch hinter dieser Aussage stehen könnte und drücken auf einem Blatt Papier aus, was dieses Zitat in ihnen auslöst.

Papier, Buntstifte

Einzelarbeit

Eindruck

Die Schüler/innen sollen nun auch erfahren, wer hinter der von ihnen gewählten Aussage steht:

Auf Gruppentischen sind die Zitate mit Materialien und Hinweisen vorbereitet, die die Tätigkeit der jeweiligen Person beschreiben.

Nachdem die Schüler/innen überlegt haben, wer „ihre“ historische Persönlichkeit sein könnte und was sie gemacht haben könnte, decken sie das Bild der jeweiligen Person und ihren Lebenslauf auf.

Materialien zu den jeweiligen Personen,

Bilder, Lebensläufe

(unter M5)

 

Gruppen-/ Einzelarbeit

Ausdruck

Danach bearbeiten die Schüler/innen folgende Aufträge:

  1. Lese dir den Lebenslauf deiner historischen Persönlichkeit durch.
  2. Wenn dein Star ein facebook-Profil hätte wie würde das wohl aussehen? Gestalte das Blatt.
  3. Schreibe deiner historischen Persönlichkeit eine persönliche Nachricht. Was würdest du ihr gerne sagen?
  4. Erstelle im Namen dieser Person eine Veranstaltung: Wie würde sie heißen? Wen würdest du einladen?

 

Flipchart

mit Arbeitsaufträgen

AB’s: facebook-Profil, Veranstaltungs-Profil, persönliche Nachricht, Bilder in Passgröße für facebook-Profile

Gruppen-/ Einzelarbeit

Austausch:

Im Anschluss werden die facebook-Profile ausgetauscht und kommentiert, „geliked“, Fragen gestellt usw.

Austausch im Sitzkreis

Gruppen-/ Einzelarbeit

Eindruck:

L stellt ein facebook-Profil von I. Eisler vor (hier exemplarisch die Großmutter von Christiane Karlstetter).

 

Ein Posting: „Ich muss weg von hier. Aber ich kann die Kinder nicht alleine lassen. Was soll ich tun?“

L erzählt Geschichte, die dahinter steckt (unter M4)

L: „Wie hättest du dich entschieden?“ (Dilemma-Diskussion) 

L löst auf, dass diese Frau ihre Oma war.

SuS werden aufgefordert zu überlegen, ob sie selbst jemanden im nahen Bekannten- oder Familienkreis haben, der so ein local-heroe war.

facebook-Profil Ch. Eisler

Geschichte von Ch. Eisler

Sitzkreis

 

Abschluss:

Lied „DU“ mit Arbeitsauftrag (unter M4)

CD, Arbeitsblatt Einzelarbeit

M3: Begründung des Gesamtprojekts und der einzelnen Teilschritte

Begründung des Gesamtprojekts

Die Unterrichtsstunde „Ich werde mehr sein als nur die Kopie eines anderen Menschen“ trägt ihre Intention schon im Titel: Das Lernen an historischen Persönlichkeiten soll kein reines Nachahmungslernen sein, sondern ein reflektiertes und werteentwickelndes Lernen am Subjekt. Dennoch ist es zunächst wichtig, dass durch die Annäherung an die historischen Persönlichkeiten Bewunderung bei den Schüler/innen ausgelöst wird. Denn auch wenn eine direkte Nachahmung unmöglich und wenig ertragreich für das Lernen an fremden Biografien wäre, so brauchen Jugendliche solche Persönlichkeiten „um eigene Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte daran zu spiegeln“ (Mendl 2015, 64). Es wird also deutlich, dass den Jugendlichen durch das Lernen an historischen Persönlichkeiten ermöglicht werden soll, sich bestimmte Werte bewusst zu machen, diese zu reflektieren und zu internalisieren (vgl. Mendl 2015, 69). Diese kritische Auseinandersetzung mit den Werten der historischen Persönlichkeiten führt gleichermaßen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Einstellungen. Deshalb stellt sich für ein Lernen an historischen Persönlichkeiten zunächst die Frage: „Welche Hoffnungen, Ziele, Entscheidungssituationen lassen sich im Leben vorbildhafter Gestalten ermitteln? Wo ergeben sich inhaltliche Parallelen zu eigenen Lebensthemen und Impulse für deren Bewältigung?“ (Mendl 2015, 69). Genau diese Frage soll im Laufe dieser Unterrichtsstunde aufgegriffen werden und den Schüler/innen ermöglicht werden, sich darüber selbst Gedanken zu machen, sich im Sinne der Wertkommunikation auszutauschen und ihre eigenen Werte zu entwickeln und zu reflektieren (vgl. Mendl 2015, 69).

Mancher wird sich fragen, warum die Schüler/innen an Personen lernen sollen, die schon längst verstorben sind und so weit von der heutigen Lebenswelt der Jugendlichen entfernt sind. Viele Jugendliche entscheiden für sich, dass sie so wie diese Menschen nicht werden können und wollen (vgl. Mendl 2009, 7)! Die Antwort darauf ist, dass es zwar zeitaufwändig und durchaus eine Herausforderung ist, wenn man an historischen Persönlichkeiten lernen will – jedoch keineswegs unmöglich. Wie die Bezeichnung ‚historische Persönlichkeiten‘ schon aussagt: Diese Personen haben unsere Geschichte geprägt und haben die Welt in der wir leben in irgendeiner Form beeinflusst und verändert und geben den Schüler/innen die Möglichkeit eines ethischen Lernprozesses in der Auseinandersetzung mit deren Biografien (vgl. Mendl 2002, 269). Dazu ist es zunächst notwendig den „garstigen Graben“ (Mendl 2006, 110) zu überwinden, der die Jugendlichen von den historischen Persönlichkeiten trennt.  Diese Brücke kann geschlagen werden, indem diese Personen als ‚local-heroes‘ ihrer Zeit betrachtet werden. Sie waren Menschen, die in ihrem Kontext und ihrem Umfeld etwas Außergewöhnliches geleistet haben, so wie das auch heute noch viele Menschen tun. Wie genau dieses Lernen an historischen Persönlichkeiten im Unterricht umgesetzt werden kann und welche Methoden angewendet werden können, soll nun im Folgenden aufgeführt werden.

Begründung der Teilschritte

In der Einstiegsphase der Unterrichtsstunde verteilt die Lehrkraft Zitate von historischen Persönlichkeiten an einzelne Schüler/innen. Wichtig ist dabei, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht genannt wird, welche Persönlichkeiten hinter den Zitaten stecken. Die Jugendlichen werden nun aufgefordert die Zitate vorzulesen und in die mit Tüchern gestaltete Mitte zu legen. Zu jedem Zitat wird eine Kerze angezündet. Danach wählen sie ein Zitat aus, von dem sie sich angesprochen fühlen, mit dem sie etwas verbinden, oder das ihrer eigenen Denkweise entspricht.

Der Sinn hinter dem Gedanken, dass die Zitate noch ‚namenlos‘ bleiben ist der, dass die Schüler/innen die Aussagen nicht sofort mit einem bestimmten Menschen in Verbindung bringen sollen und das Zitat nicht aufgrund eines Namens auswählen.  Für die Weiterarbeit spielt es eine viel größere Rolle,  dass sie sich von der reinen Aussage angesprochen fühlen. Da die Jugendlichen zu dem Zeitpunkt auch noch nicht wissen, dass es sich um historische Persönlichkeiten handelt, wird gleich von Anfang an vermieden, dass sich die Schüler/innen vom Lerngegenstand distanzieren, weil sie mit solchen weit entfernten, „peinlichen Überbautypen“ (Bucher/Montag 1997, 61) nichts anfangen können. Hingegen wird durch diese Zitate eine Brücke geschaffen, die die historischen Persönlichkeiten mit jedem einzelnen Jugendlichen der Klasse auf irgendeine Art und Weise miteinander verbindet.  Dass für jedes Zitat, das vorgelesen wird, eine Kerze angezündet wird, hat symboldidaktischen Charakter. Hier braucht es keine Worte, sondern die angezündete Kerze wirkt für sich und soll zu Anfang der einzige Hinweis darauf sein, dass es sich um Personen handelt, die nicht mehr leben.

Der nächste Schritt ist nun, dass die Schüler/innen begründen, warum sie ihr Zitat ausgewählt haben und sich überlegen, welcher Typ Mensch hinter einem solchen Zitat stecken könnte. Ihre Aufgabe ist es anschließend ihre Gefühle und Gedanken, die das Zitat in ihnen auslöst, auf einem Blatt Papier aufzuschreiben oder künstlerisch auszudrücken.

Durch diese Form der Auseinandersetzung lassen sich die Jugendlichen emotional auf die von ihnen ausgewählte Aussage ein. Ganz automatisch kommt es zu einer „biographischen Selbstreflexion“ (Ziebertz, 2010, 384). Manche verbinden dieses Zitat vielleicht mit der eigenen Lebenssituation oder bewundern eine solche Aussage, würden selbst gerne so denken können. Das Blatt Papier, das die Jugendlichen gestalten ist individuell, selbst wenn von mehreren dasselbe Zitat ausgewählt wurde und so schafft auch jeder seine ganz individuelle Annäherung an die historische Persönlichkeit. Der erste Schritt hin zu einer so weit entfernten Person ist getan. Ein Austausch über die ‚Kunstwerke‘ muss nicht zwingend stattfinden.

Danach sollen die Schüler/innen erfahren, wer hinter der von ihnen gewählten Aussage steckt. Sie werden aufgefordert sich an den Gruppentisch zu begeben, auf dem sie das jeweilige Zitat finden. Die Personen sind: Henry Dunant, Hermann Gmeiner, Helen Keller, Maximilian Maria Kolbe, Nelson Mandela, Friedrich von Bodelschwingh.

Auf den Tischen finden sich Materialien, die auf die Tätigkeit der Personen hinweisen, ein Bild und der Lebenslauf der Person (beides zunächst noch umgedeckt). Nachdem die Schüler/innen überlegt haben, wer hinter ‚ihrer‘ Person stecken könnte, dürfen sie das Bild und den Lebenslauf umdrehen und diesen durchlesen.

Hier kann es natürlich passieren, dass an einem Tisch mehrere Schüler/innen arbeiten und an einem anderen vielleicht nur ein oder gar kein Jugendlicher ist. Dies ist jedoch so beabsichtigt, da das Hauptaugenmerk nicht auf einer Gruppenarbeit, sondern auf der individuellen Weiterarbeit mit der Person liegt, mit der man sich verbunden fühlt. Jugendlichen ist es nämlich laut Anton Bucher und Saskia Montag sehr wichtig ihre Vorbilder individuell zu wählen: „Jeder betrachtet die Meinung des Vorbildes anders  und denkt darüber anders. […] Jeder sollte sein eigenes Vorbild wählen, nach seinem Maßstab“ (Bucher/Montag 1997, 72).

Erst jetzt lernen die Schüler/innen die Person genauer kennen. Es wurden für diese Unterrichtsstunde gezielt Personen ausgewählt, die den Schüler/innen zum größten Teil nicht als overfamiliar, als zu verbraucht erscheinen (vgl. Mendl 2015, 150). Sie lesen den Lebenslauf und erfahren, was diese Person erlebt und geschafft hat. Diese Auseinandersetzung kann Reaktionen wie Bewunderung, Bestürzung oder Begeisterung hervorrufen. Automatisch ergeben sich viele Fragen und Gedanken, die die Jugendlichen loswerden müssen.

Daher arbeiten die Schüler/innen an folgenden Aufgaben weiter:

  • Wenn dein Star ein facebook-Profil hätte wie würde das wohl aussehen? Gestalte das Blatt
  • Schreibe deiner historischen Persönlichkeit eine persönliche Nachricht. Was würdest du ihr gerne sagen?
  • Erstelle im Namen dieser Person eine Veranstaltung: Wie würde sie heißen? Wen würdest du einladen?

Diese Aufgabenstellung ermöglicht es den Schüler/innen sich, ganz im Sinne des Konstruktivismus, intensiv mit ihren eigenen Gedanken und Fragen zu der historischen Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Dabei wird das Vorwissen der Schüler/innen wachgerufen, sie verbinden es automatisch mit dem geschilderten Lebenslauf und es fließt in ihre Fragen und Äußerungen mit ein. So kommt es zum aktiven Lernen, ohne dass es direkt als Lernen wahrgenommen wird. Die Aufgaben können frei bearbeitet werden, es ist keine Reihenfolge und keine genaue Zeit für die einzelnen Aufgaben vorgegeben, so dass es jedem Jugendlichen selbst überlassen ist sich zu überlegen für welche Aufgabe er sich mehr Zeit nehmen will und für welche weniger (vgl. Rupp 2014, 121).

Der Sinn des facebook-Profils ist, dass die Schüler/innen sich intensiv mit dem Lebenslauf auseinandersetzen. Sie versuchen herauszufinden, was der Person wichtig erschien und suchen somit für das Profil auch das heraus, was in ihren eigenen Augen das Wichtigste und Ausschlaggebendste ist. 

Durch die persönliche Nachricht, die die Jugendlichen an die historische Persönlichkeit schreiben, erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit den Fragen, die die Geschichte der Person in jedem Einzelnen aufwirft. Die Nachrichten werden wahrscheinlich sehr unterschiedlich ausfallen. Manche würden ihre Person vielleicht gerne fragen, wie sie dies oder jenes geschafft oder gemacht hat, Andere würden um Rat fragen oder einfach nur ihr Herz ausschütten – die Nachrichten bleiben, sofern das von den Schüler/innen gewünscht ist, nämlich auch persönlich (vgl. Niehl/Thömmes 2014, 122f).

Die Veranstaltung soll noch einmal zum Nachdenken führen: Was hätte diese Person vielleicht für eine Veranstaltung veröffentlicht? Zu welcher Veranstaltung würde ich gehen und wen würde ich dahin mitnehmen? Nach diesen Kriterien erstellen die Schüler/innen ihre Veranstaltung, die sie folglich selbst gut finden und somit auch besuchen würden.

Wenn die Jugendlichen ihre Aufgaben beendet haben werden die facebook-Profile unter den verschiedenen Gruppen ausgetauscht. Jetzt haben die Schüler/innen die Möglichkeit auch die anderen Persönlichkeiten kennen zu lernen und den ein oder anderen Status zu kommentieren oder die Seite zu ‚liken‘.

Der Sinn dahinter ist, dass es zu einer „Ko-Konstruktion“ (Rupp 2014, 121) kommt, das heißt, man setzt sich mit den Ergebnissen der Anderen auseinander. Dies kann zum einen damit begründet werden, dass die Arbeit der Schüler/innen nicht ‚sinnlos‘ bleibt, da sie gesehen und besprochen wird und zum anderen damit, dass die Jugendlichen damit ein viel tieferes Verständnis für sich selbst entwickeln: ‚Diese Person finde ich toll/nicht so toll! Diese Seite würde ich auch in echt (nicht) liken!‘ Mit ihren Kommentaren vervollständigen die Schüler/innen jedes Profil und es findet, wenn auch zunächst nur auf dem Papier, später im Sitzkreis, wie von selbst ein Austausch über die verschiedenen Werte und Einstellungen statt.

Im Anschluss stellt die Lehrkraft ein von ihr vorbereitetes Profilbild vor. In diesem Unterrichtsbeispiel wurde die historische Persönlichkeit I. Eisler ausgewählt. Auf dem Profil findet sich der Status: ‚Ich muss weg von hier. Aber ich kann die Kinder nicht alleine lassen! Was soll ich tun?‘ Damit diese Aussage verstanden wird, erzählt die Lehrkraft die Geschichte, die dahinter steckt (zu finden unter M4). Durch die Frage: ‚Wie hättest du dich entschieden? Was hättest du getan?‘ wird eine Dilemma-Diskussion herbeigeführt.

Die Auseinandersetzung mit der Dilemma-Situation ist zentral beim Lernen an historischen Persönlichkeiten. Auch wenn die Geschichte in einer anderen Zeit verortet ist, so stehen auch die Jugendlichen oft vor Problemen, die ihnen als unlösbar erscheinen. Sie haben hier die Möglichkeit ihre eigene Entscheidung zu treffen und diese moralisch zu begründen. „Wichtig bei einer Dilemma-Diskussion ist es daher, vor allem darauf zu achten, dass es […] kein ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ geben darf“ (Mendl 2015, 246). Jeder Einzelne muss für sich selbst abwägen, welchen Weg er wählen würde und aus welchem Grund. Voraussetzung für diesen Weg eine Dilemma-Diskussion durchzuführen ist jedoch, dass die Schüler/innen auf diesem Gebiet nicht unerfahren sind, sondern bereits die ein oder andere Dilemma-Situation durchgearbeitet haben. Andernfalls könnte dies zu einer „unstrukturierten kontroversen Diskussion[…]“ (Mendl 2015, 247) führen. Wird aber eine sinnstiftende Diskussion geführt, so kann dies durchaus dazu führen, dass nicht nur die genannte Person als Spiegel für die Jugendlichen dient, sondern auch jeder einzelne Mitschüler, der durch seine Aussage und Position vielleicht in einem anderen Jugendlichen wieder Gedanken auslöst, die ihn beschäftigen und ihn seine eigene Position vielleicht überdenken lassen oder diese sogar noch festigen.

Nach der Dilemma-Diskussion wird aufgelöst, wer I. Eisler war, nämlich meine Großmutter. Die Schüler/innen werden nun aufgefordert einmal zu überlegen ob sie selbst jemanden im nahen Verwandten- oder Bekanntenkreis haben, der sich einer so außergewöhnlichen Situation gestellt hat.

Dieser Schritt dient dazu, den Jugendlichen aufzuzeigen, dass historische Persönlichkeiten nicht so weit entfernt sind, wie man oft denkt. Wie I. Eisler gab es viele Menschen, die in ihrer Zeit wahrscheinlich in die ‚local-heroes‘-Datenbank aufgenommen worden wären, da sie echte Helden des Alltags waren – nur zu ihrer Zeit, in ihrem Lebensumfeld. Um diesen Teil der Unterrichtsstunde in jeder Klasse durchführen zu können, muss die Lehrkraft natürlich nachforschen ob sie so jemanden in der Familie oder im Bekanntenkreis hatte. Wenn nicht, bietet sich auch die Möglichkeit nach lokalen, verstorbenen ‚Helden‘ zu suchen.

Zum Abschluss der Stunde sollen die Schüler/innen noch einmal über all ihre Eindrücke nachdenken und reflektieren. Dazu hören sie das Lied „DU“ und beantworten die dazu gestellten Fragen auf einem Arbeitsblatt (zu finden unter M4):

  • Diese Werte schätze ich an ‚meiner‘ Person.
  • Diese Werte finde ich in mir wieder.
  • Diese Werte fände ich gerne in mir wieder.

Dieser Abschluss soll den Jugendlichen dazu dienen, dass sie ihre eigenen Einstellungen und Werte noch einmal im Hinblick auf die historischen Persönlichkeiten überdenken. Dies kann bei Manchen bedeuten, dass sie viele Übereinstimmungen finden, wenn auch vielleicht nur in kleinen Ansätzen. Für Andere wiederum kann dies ein Ansporn sein beispielsweise ehrlicher, mutiger oder überzeugter zu werden und für wieder Andere bedeutet dies vielleicht, dass sie sich in ihrer eigenen Haltung bestärkt fühlen.

Fazit

Wie dieses Unterrichtsbeispiel zeigt ist es also nicht das Ziel den Schüler/innen irgendwelche Werte und Einstellungen überzustülpen, sondern ihnen vielmehr die Möglichkeit zu geben, historische Persönlichkeiten als Spiegel zu nutzen, durch den sie immer mehr erkennen, wer sie selbst sind oder sein möchten. Wenn also Jugendliche sagen: „So kann und will ich nicht werden“ (Mendl 2009, 7), dann ist diese Aussage keinesfalls schlecht, denn es ist nicht der Sinn des Lernens an historischen Persönlichkeiten, dass lauter Nelson Mandelas, Henry Dunants und Helen Kellers herumlaufen. Die Schüler/innen sollen ja nicht werden wie sie, sondern sollen durch diese Personen immer mehr sie selbst werden! Jeder Mensch sollte am Ende sagen können, dass er mehr war, als nur die Kopie eines anderen Menschen. Er soll sagen können:

Ich war ich!

M4: Materialien (Bilder gezeichnet von Christiane Karlstetter)

M5: Weitere Materialien - Arbeitsblätter

M6: Literaturverzeichnis

Bayerisches Staatsministerium für Kultus und Bildung, Lehrplan für die bayerische Mittelschule, München 2004.

Bucher, Anton/ Montag, Saskia, Vorbilder: Peinliche Überbautypen oder nach wie vor notwendig? Bericht über zwei aktuelle empirische Untersuchungen, in: Religionspädagogische Beiträge (1997/40), 61-81.

Rupp, Hartmut, Zum Beispiel: Mensch – Kompetenzorientiertes Lernen in konstruktivistischer Perspektive, in: Büttner, Gerhard/ Mendl, Hans/ Reis, Oliver u.a. (Hg), Religionsunterricht planen, Babenhausen 2014, 113-128.

Ziebertz, Hans Georg, Biographisches Lernen, in: Hilger, Georg/ Leimgruber, Stephan/ Ziebertz, Hans-Georg (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München6 2010, 374-386.

Mendl, Hans, Historische Gestalten als Vorbilder im Religionsunterricht, in: rhs (2002/45), 268-276.

Mendl, Hans, An anderen Biographien für das eigene Leben lernen, in: Rendle, Ludwig (Hg.) Mehr als reden über Religion. 1. Arbeitsforum Religionspädagogik 21. Bis 23. März 2006. Dokumentation. Donauwörth 2006, 110-119.

Mendl, Hans, Entschieden leben. Der didaktische Wert einer Auseinadersetzung mit regionalen Glaubenszeugen, in: Bischöfliches Ordinariat Würzburg Hauptabteilung III: Hochschule, Schule und Erziehung (Hg.), Würzburger Hefte. Beiträge zur Religionspädagogik 7, 2009, 7-15.

Mendl, Hans, Modelle-Vorbilder-Leitfiguren. Lernen an außergewöhnlichen Biografien (Religionspädagogik innovativ 8), Stuttgart 2015.

Niehl, Franz/ Thömmes, Arthur, 212 Methoden für den Religionsunterricht, München 2014.

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