ZKK: Liebe Frau Hirtler-Rieger, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um ein paar Fragen zu Ihrem Seminar zu beantworten. Sie selbst waren lange Jahre als Redakteurin tätig, seit 2010 arbeiten Sie als freie Journalistin. Woher kommt Ihre eigene Begeisterung Leidenschaft für das kreative Schreiben, und Ihr Drang, diese weiterzugeben?
Gesine Hirtler-Rieger: Ich hatte das große Glück, mit 17 Jahren einen Deutschlehrer zu bekommen, der sagte: „Ihr werdet bei mir nichts über Literaturgeschichte lernen, ihr werdet selbst schreiben.“ Wir waren wirklich baff, die Jungs johlten und verweigerten strikt, die Mädchen zierten sich unendlich – aber er hat es geschafft. Wir haben ein Jahr lang für jede Unterrichtsstunde etwas produziert, irgendwann hat jeder geschrieben. Am Anfang war viel Käse dabei, aber von Mal zu Mal wurde es intensiver. Der Lehrer hat unser Schreiben sehr ernst genommen und vieles – immer ohne Namen – auf Matrizen abgezogen, ausgeteilt und zur Diskussion gestellt. So erfuhren wir, wie kreativ und fantasiebegabt, aber auch wie einsam oder verzweifelt mancher in unserer Klasse war. Wir haben gelernt, dass wir neue Welten erschaffen können. Diese Erfahrung möchte ich weitergeben.
ZKK: „Kreatives Schreiben“ klingt zunächst sehr nach einem Seminar, dass in der Anwendung nur für Medien-Studierende Sinn macht. Warum kann das Seminar für alle Studierenden eine Bereicherung sein?
Hirtler-Rieger: Schreiben bereichert jeden Menschen, der offen dafür ist, denn im Schreibprozess ordnen sich die Gedanken. Allein die Konzentration auf die Schrift, die relative Langsamkeit des Schreibens, bringt die Sinne anders zum Schwingen als die forteilenden Gedanken, das schnelle Sprechen, das flüchtige Sehen. Im Schreiben nimmt man die eigenen Erfahrungen, Gefühle und Träume besser wahr. Zunächst schreibt man sich warm, dann nimmt man Fahrt auf und entscheidet, wo es hingeht: vielleicht an einen Ort verrückter Fantasien oder aufbegehrender Wünsche. Oder zurück in die Kindheit, wo man Erlebnisse mit Distanz wahrnehmen und eine andere Perspektive entdecken kann. Wer schreibt, stiftet Sinn für sich und weitet den Blick.
ZKK: Lassen sich die erlernten Tools zur Ideenfindung über das Schreiben hinaus anderweitig in den Alltag integrieren und auf andere Herausforderungen übertragen?
Hirtler-Rieger: Ich denke schon. Nehmen wir das Brainstorming-Verfahren „Clustering“: zum Gähnen langweilig, meinen viele. Aber wer es Schritt für Schritt anwendet und es schafft, das logische Denken auszuschalten und die Assoziationen fließen zu lassen, der kann zu überraschenden Erkenntnissen gelangen. Fragen zur Lebensführung, zu Beruf und Privatleben kann man damit durchspielen, bis man an den Punkt gelangt, an dem man merkt: Aha, das ist es, was mir wirklich, wirklich wichtig ist.
ZKK: Was sind für Sie die drei wichtigsten Eigenschaften, die Nachwuchsautorinnen und -autoren haben müssen?
Hirtler-Rieger: Freude am Schreiben und Lust am Experimentieren, das steht ganz oben auf der Liste. Was ich gerne mache, werde ich gut machen. Wichtig ist aber auch die Bereitschaft, sich das Handwerkszeug zu erarbeiten – und Sitzfleisch. Die Schriftstellerin Elisabeth George, eine Meisterin des psychologisch motivierten Krimis, nennt drei Eigenschaften: Talent, Leidenschaft und Disziplin, über mindestens zwei davon sollte man verfügen. Ihr erstaunliches Fazit: IMMER muss die Disziplin mit dabei sein. Wer nur Talent und Leidenschaft besitzt, wird nicht erfolgreich sein.
ZKK: Vielen Dank für das Gespräch!