ZKK: Liebe Frau Trump, woraus ziehen Sie Ihre persönliche Motivation, das Seminar „Vorurteile und Diskriminierung: Handlungskompetenzen für Beruf und Gesellschaft" anzubieten?
Kathrin Trump: Meine persönliche Motivation ist gleichzeitig meine berufliche Motivation. Ich bin ja Beraterin und Trainerin im Bereich Diversity Management und sehe es tatsächlich ein Stück weit als meine Berufung an, "Diversity-Kompetenz" sowie das Bewusstsein für das eigene "Schubladendenken" und die eigenen Vorurteile möglichst vielen Menschen zu vermitteln, um so auch einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit und für die Wertschätzung von Vielfalt in Organisationen und der Gesellschaft zu leisten. Wenn diese Kompetenzen schon im Studium ausgebildet werden und dann diversitätssensible Absolventinnen und Absolventen in den Arbeitsmarkt eintreten, um diesen vielleicht auch aus diesem Bewusstsein heraus mit zu verändern, ist das natürlich umso wirkungsvoller.
ZKK: In diesem Sinne: Welche Inhalte behandeln Sie konkret im Seminar?
Trump: Es geht im Seminar weniger um die harten Fakten, wobei es auch diese zum Thema Diskriminierung gibt. Diese sind auch sehr wichtig, um andere von der "Schieflage" zu überzeugen, die es in unserer Gesellschaft nach wie vor gibt. Das heißt, es existieren ausreichend Statistiken, um zu belegen, in welchem Ausmaß und an welchen Stellen bestimmte soziale Gruppen wie Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung oder BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) oder Trans-Personen von Vorurteilen betroffen sind und diskriminiert werden. Das vermittelt das Seminar natürlich auch. Vor allem aber geht es darum zu verstehen, durch welche psychologischen Prozesse Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung entstehen, wie sie sich auswirken und was ganz konkret dagegen getan werden kann: angefangen bei einem selbst, in Organisationen und gesamtgesellschaftlich.
ZKK: Wie gehen Sie dabei im Seminar praktisch vor bzw. wie werden diese Inhalte methodisch im Seminar bearbeitet?
Trump: Ein Seminar dieser Art funktioniert nicht ohne Selbstreflexion und so bewegen wir uns immer auf zwei Ebenen: Einerseits auf der Ebene des Erfahrens, z. B. der eigenen "Anfälligkeit" für Stereotype und unbewusste Denkmuster, von Aha-Momenten bzgl. der Allgegenwärtigkeit von Stereotypen oder bei interaktiven Simulationen zu Machtverhältnissen und Privilegien in der Gesellschaft. Andererseits gehen wir immer wieder auf die Metaebene und reflektieren, was diese gemachten Erfahrungen bedeuten und wie diese Mechanismen in Organisationen und der Gesellschaft durchbrochen werden können. Nicht zuletzt beziehen wir im Seminar auch die vielfältigen Erfahrungen der Studierenden zu diesen Themenfeldern ein, denn viele haben sich bereits damit auseinandergesetzt und bringen eigene Sichtweisen mit. Das bereichert die Beschäftigung damit sehr und führt jedes Mal zu einem spannenden Austausch in der Gruppe.
ZKK: Ich hatte vor einiger Zeit beim Ausmisten bei meinen Eltern ein Jim Knopf-Buch in der Hand, habe es aufgeschlagen, nostalgisch nochmal reingelesen, und natürlich den Mund nicht mehr zubekommen vor Staunen – unzählige rassistische Anspielungen, ganz nebenbei fallen gelassen und mein persönlicher Aha-Moment. Und es geht nicht nur um Kinderbücher, die 50 bis 60 Jahre alt sind. Die deutlich zeitgemäßere Harry Potter-Autorin J. K. Rowling steht beispielsweise auch regelmäßig in der Kritik, in ihren Büchern reihenweise Klischees, nicht nur bezogen auf z. B. BIPoC, zu bedienen. Müssen wir nicht eigentlich viel früher gegen die Prägung verschiedener Denkmuster aktiv werden?
Trump: Ja, mit dieser Feststellung haben Sie auf jeden Fall Recht. Es ist Teil der Natur von uns Menschen, in Kategorien zu denken. Dieses "Schubladendenken" benötigen wir einerseits, um schnell entscheiden zu können und uns innerhalb der millionenfachen Reize aus unserer Umwelt überhaupt sinnvoll durchs Leben bewegen zu können. Andererseits führt dieses Denken jedoch auch dazu, dass wir Menschen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie, also einer sozialen Gruppe, die Stereotype zuschreiben, die uns zu dieser Gruppe im Kopf herumschwirren. Gefüllt werden diese Schubladen schon früh und eben unter anderem auch durch Abbildungen oder Geschichten. Insofern ist es unglaublich wichtig, dass in der Literatur – aber auch in anderen Medien wie der Presse oder der Werbung – soziale Gruppen in ihrer ganzen Vielfalt dargestellt werden. Aus der Forschung wissen wir, dass Kinder bereits bis zum Alter von sieben Jahren Stereotype ausgebildet haben. Das gilt übrigens auch für die Gruppen, denen sie selbst angehören und zieht teilweise sehr tragische, weil eben nachhaltige prägende, Folgen für ihre eigene Entwicklung nach sich.
ZKK: Wie reagieren denn in Ihren Seminaren die Menschen, die nicht von Diskriminierungen betroffen sind, auf die Erkenntnis, dass sie sich oftmals unwissend diskriminierend gegenüber verschiedenen Personengruppen oder Einzelpersonen verhalten zu haben?
Trump: Da wir im Seminar Schritt für Schritt erarbeiten, wie es zu Stereotypisierung, Vorurteilen und im schlimmsten Fall (ungewollter) Diskriminierung kommt, ist es für die Teilnehmenden weder eine überraschende noch eine schlimme Erkenntnis, dass auch sie diesen psychologischen Mechanismen unterliegen. Das ist ja nicht das Problematische, sondern vielmehr die Frage, was man dann mit dieser Erkenntnis macht. Das heißt, wie gut beobachte ich mich selbst bei der Interaktion mit Menschen, die in irgendeinem Merkmal anders sind als ich selbst? Welche Techniken wende ich an, um diese Menschen einerseits schnell wieder aus ihren Schubladen herauszulassen: um sie andererseits nicht auf Basis der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu bewerten und zu behandeln, sondern aufgrund ihrer Fähigkeiten, individuellen Eigenschaften und Talente. Das kann man sich bewusst machen und aktiv lernen.
“We [the Black people] need people to stand up and take on the problems borne of oppression as their own, without remove or distance. We need people to do this even if they cannot fully understand what it’s like to be oppressed for their race or ethnicity, gender, sexuality, ability, class, religion, or other marker of identity. We need people to use common sense to figure out how to participate in social justice."*
ZKK: Insbesondere nach den Morden an George Floyd und Breonna Taylor in den USA liest man nun häufig, als Gegenreaktion genüge es nicht, Rassismus nur zu verurteilen, zu demonstrieren, egal ob online oder in der Gruppe vor Ort. Eine eindeutig anti-rassistische Haltung sei gefragt, oft fällt der Begriff „Allyship“* Wie kann ein solches pro-aktives Beispiel aus dem Alltag aussehen?
Trump: Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Der erste Schritt ist aber sicherlich erst einmal, für sich selbst zu beschließen, ein "Ally" sein zu wollen und diese Rolle anzunehmen. Damit ist die Offenheit geschaffen, die es braucht, um sich selbst kritisch zu hinterfragen und die eigene gesellschaftliche Position und damit einhergehende Privilegien als Weiße oder Weißer zu erkennen. Statistiken und nackte Zahlen helfen da, aber es geht auch darum, den eigenen rassistisch sozialisierten Blick auf die Welt und andere unbewusste Denkmuster zu reflektieren sowie durch Lektüre und Weiterbildung ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge zu erlangen. Damit ist die Grundlage geschaffen, um dann auch im Alltag etwas tun zu können. Das fängt natürlich beim eigenen Verhalten an, bei der eigenen Sprache und im eigenen Umgang mit – in diesem Fall – BIPoC. Es geht aber auch weit darüber hinaus. Zum Beispiel Spenden sammeln, die den Schwarzen Opfern von Polizeigewalt zu Gute kommen, Anti-Rassismus-Kampagnen oder das Diversity Management in Organisationen unterstützen. Mit zunehmendem Wissen und der aktiven Beschäftigung mit dem Thema schärft man aber auch seinen Blick für das, was andere tun und sagen. Jemanden darauf hinweisen, wenn sie oder er sich stereotyp äußert oder Begriffe verwendet, die für die bezeichneten Gruppen verletzend sind, ist hier ein guter Anfang. Um dann jedoch auch in einen Dialog über das "Warum" zu kommen, damit die andere Person nicht mit Abwehr und Unverständnis reagiert, braucht es auch in diese Richtung Empathie und die richtigen Worte, Erklärungen und Argumente. Denn nur so kann auch diese Person wiederum zum "Ally" werden.
ZKK: Nicht alle konfrontierten Menschen sind gleichermaßen empfänglich für Kritik. Wie gehen Sie – im Seminar, aber auch Ihrem Alltag – beispielsweise mit dem Thema umgekehrte Diskriminierung (= reverse discrimination) um?
Trump: Das Argument der "umgekehrten Diskriminierung" der Mehrheitsgruppe zu Gunsten der Minderheit ist eigentlich ein Missverständnis, auf das wir immer wieder stoßen. Chancengleichheit richtig verstanden bedeutet aber, dafür zu sorgen, dass am Ende keine Gruppe mehr benachteiligt ist. Dass ein "Nachteilsausgleich" einer vormals diskriminierten Gruppe wiederrum als Diskriminierung der Mehrheitsgruppe missverstanden wird, liegt oft daran, dass die ursprüngliche Ungleichheit gar nicht als solche erkannt wird. Da sind wir wieder am Anfang des Interviews, der "Schieflage". Diskriminierung wirkt häufig über so kleine Stellschrauben, dass sie der Mehrheitsgruppe tatsächlich nicht bewusst ist. Aus ihrer Perspektive sind die gesellschaftlichen Auswirkungen und vor allem die individuellen für die einzelne Person nur schwer erkennen können, wenn sie sich nicht aktiv damit beschäftigt. Das transparent zu machen, reicht meistens schon aus, um in einen konstruktiveren Austausch zu kommen.
ZKK: Liebe Frau Trump, vielen Dank für das Gespräch!
*So definiert die US-amerikanische Autorin Roxane Gay den Begriff „Allyship“ (Gay, 2016). Denkanstöße und Praxisbeispiele wie Sie vom passiven Rassismus-Gegner zum aktiven Verbündeten, also zum „Ally“, wird, gibt es zum Beispiel auch online.