ZKK: Woher kommt Ihre eigene Begeisterung für die Thematik, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Tanja Terruli: Schon vor der Wahl des Studiums der Stadt- und Regionalplanung nahm ich die unterschiedlichen Lebens- und Aufenthaltsqualitäten in Städten wahr und war fasziniert von den Möglichkeiten diese zu gestalten. Auf Reisen wie auch im persönlichen Wohnumfeld merken wir besonders deutlich, in welchen (Innen-)Städten oder Wohnquartieren wir uns gern aufhalten und welche (öffentliche) Räume wir lieber meiden. Diejenigen, die in Venedig, Barcelona oder Kopenhagen waren, schwärmen anschließend noch von der Attraktivität dieser Städt. Dennoch macht der zunehmende Verkehr in Städten wie Berlin auch in meinem Wohnquartier nicht halt. Immer mehr Pkws belegen den knappen öffentlichen Raum und drängen Fußgängerinnen und Fußgänger, Radfahrerinnen und Radfahrer buchstäblich an den Rand. Eine Querung außerhalb der Kreuzungsbereiche ist oftmals kaum möglich und das wenige Grün an den Straßenzügen wird von Autos reihenweise eingerahmt und lädt kaum noch zum Verweilen ein. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und insbesondere unser Projekt „Straßen für Menschen“ setzt sich für eine flächengerechte Verteilung des öffentlichen Raums unter den Verkehrsteilnehmenden ein – für lebenswerte Städte, wie ich sie mir wünsche.
ZKK: Welche Inhalte behandelt das Seminar und warum kann das Seminar für Studierende aller Fachrichtungen eine Bereicherung sein?
Terruli: Das Seminar thematisiert diese Ungleichheit, die in diesen Tagen verstärkt in Erscheinung tritt und uns alle betrifft: Die ungleiche Verteilung von Fläche – also der Platzmangel für die Bewegungsfreiheit zu Fuß und mit dem Fahrrad, die mangelnde Sicherheit im Verkehrsraum und fehlende Lebensqualität im öffentlichen Raum. Mit dem Seminar schaffen wir ein Bewusstsein für diesen Zustand der Flächenungerechtigkeit, der viele Städte betrifft – auch Passau. Wir geben den Studierenden die Möglichkeit, ihre Stadt ganz neu zu erfahren bzw. zu erlaufen und sie können Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten entwickeln, wie sie ihre Stadt neu aufteilen können. Wir statten sie mit guten Argumenten aus und zeigen, wie sie eine kritische Masse bilden, um diese Ideen zur Umverteilung des öffentlichen Raums auch in die Politik und Verwaltung kommunizieren zu können. Bei uns geht es um Empowerment und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit als Stadtmacherinnen und Stadtmacher – deshalb ist dieses Seminar für alle interessant.
ZKK: Wie werden die Inhalte vermittelt?
Terruli: Wir haben ein interaktives Konzept mit Workshop-Charakter entwickelt, das auch in Zeiten der Pandemie durch modulare Bausteine gut umsetzbar ist. Es funktioniert rein digital, aber auch mit einem vorgelagerten Stadtspaziergang und einem Präsenzseminar. Zur Vermittlung der Herausforderungen der Flächenverteilung in Passau sprechen wir in unserem Netzwerk VCD-Mitglieder vor Ort in Passau an. Sie sind Expertinnen und Experten ihrer Stadt. Sie wissen, wo es an Barrierefreiheit, an Spiel- und Sportmöglichkeiten oder schlicht an sicheren und komfortablen Fußwegen fehlt. Wir planen, dass es entweder einen Stadtspaziergang zu diesen Orten geben wird oder aber einen digitalen Impuls mit einem virtuellen Stadtspaziergang. Zusätzlich gibt es noch geballtes Wissen von uns zu Herausforderungen und Möglichkeiten, die Verkehrswende von unten zu gestalten. Im zweiten Teil sind dann die Studierenden dran. Lasst euch überraschen!
ZKK: Braucht es bestimmte Vorkenntnisse?
Terruli: Eigentlich nicht. Es ist natürlich immer gut, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht und vielleicht im Vorfeld schon stadträumliche Situationen fotografiert oder aufschreibt, bei denen es auf den Straßen in Passau „hakt“ – sei es, dass man als Fußgängerin oder Fußgänger nicht barrierefrei von A nach B kommt, oder aber es in den Einkaufsstraßen beispielsweise schlicht an Erholungsmöglichkeiten wie Sitzbänken mangelt.
ZKK: Welche Kernbotschaft wollen Sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf den Weg geben?
Terruli: Ihr seid die Gestalterinnen und Gestalter eurer Stadt! Wir helfen Euch auf dem Weg dahin.
ZKK: Welchen Handlungsbedarf sehen Sie in Passau? (Bitte um Beantwortung, so möglich)
Terruli: Das sollen die Studierenden herausfinden – vielleicht wissen Sie es ja auch schon in Teilen.