Privatheit
Das Forschungsfeld stellt das Konzept der Privatheit sowie deren Formen, Funktionen und Transformationen ins Zentrum.
Privatheit
Spätestens durch das geflügelte Wort von Privatheit als dem "right to be let alone" (Warren/Brandeis 1890) ist sie Gegenstand internationaler Forschung. Das Private wie auch die jeweilige Relation zum Nicht-Privaten wird hier als kulturelle, epochen-, schicht- und altersgruppenspezifische Variable angesehen. Es ist somit ein abgeleitetes, sekundäres, relationales Phänomen, das einen seiner möglichen Gegenbegriffe als primäre Gegebenheit voraussetzt und zunächst durch die Absenz bestimmter Merkmale des oppositionellen Phänomens charakterisiert ist.
Privatheit und Medien(semiotik)
In Medien und durch Medien manifestieren sich kulturelle Wirklichkeitsdeutungen, Mentalitäten und Werte. Medienwandel und der Wandel von Privatheitskonzeptionen sind daher aufeinander beziehbar. Die semiotische Analyse von Medien und fiktionalen wie nicht-fiktionalen Medienprodukten macht somit gesellschaftliche Bewusstseinslagen einer Reflexion zugänglich. Sofern Privatheit dort nicht explizit verhandelt wird, können semiotische Repräsentationsformen implizite Privatheitskonzeptionen aufzudecken helfen. Dazu zählen im Bereich der fiktionalen Texte und Filme etwa Figurenkonzeptionen, die Be-/Entgrenzung konkreter oder abstrakt-semantischer Räume sowie Ereignisstrukturen. Forciert durch neue Kommunikationsmedien (Handy, Social Web) und Medienformate (Reality-TV) lassen sich daher in den letzten Jahren einerseits neue Definitionen und Konzeptionen dessen, was als 'Privatheit' betrachtet wird, ausmachen. Andererseits können neue Verwerfungen und Kollisionen zwischen dem als privat Erachteten und dem davon abgegrenzten Bereich des Nicht-Privaten beobachtet werden (Onlinedurchsuchung, Medienberichterstattung etc.). Der Forschungsgegenstand 'Privatheit' ist also für eine semiotische Betrachtung geradezu prädestiniert.
Beiträge zum Forschungsfeld 'Privatheit'
Beiträge zum Forschungsfeld zielen auf die medien- und kultursemiotische Rekonstruktion des Privatheitskonzepts in diachroner und synchroner Perspektive ab. Denkbar sind dabei unter anderem folgende Schwerpunkte:
1. Mediale Repräsentationen und Konstruktionen des Privaten
Medien spielen bei der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit eine zentrale Rolle: Sie vermitteln nicht nur Normen und Werte, sondern auch Lebensmodelle, Kommunikations- und Handlungsmuster. Daher sind Inhalte und Ausprägungen des Privaten als semiotische Repräsentationen analysierbar. Die komplexe Beziehung von Medien (auch im Sinne von Intermedialität), Publikum und gesellschaftlicher Wirklichkeit bietet für viele Disziplinen und Forschungsperspektiven Anknüpfungspunkte.
2. Mediale Einflüsse auf die private Sphäre
Die klassischen, aber insbesondere auch die sog. Neuen Medien sind nicht nur im Hinblick auf die in ihnen repräsentierten Vorstellungen von Privatheit von großer Bedeutung. Sie beeinflussen darüber hinaus die Informations-, Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten des Einzelnen nachhaltig, indem beispielweise die Internetkommunikation kommunikative Grenzen teilweise technisch aufhebt. Das Private ist durch die Neuen Medien damit ubiquitär, direkt nach außen kommunizierbar, aber auch von außen observierbar. Zu diesem Schwerpunkt sind neben semiotisch fundierten Beiträgen auch (empirisch orientierte) medien- und kommunikationswissenschaftliche sowie kulturwissenschaftliche Beiträge denkbar.
3. Raumtheoretische Zugänge zu Privatheit
Privatheit ist in doppeltem Sinne ein räumliches Phänomen. Zum einen wird sie mit topografischen Räumen korreliert (z.B. Schlafzimmer). Zum anderen ist sie immer auch ein abstrakter semantischer Raum. Prozesse der Grenzziehung bzw. Grenzverschiebung zwischen den Räumen des Privaten und Nicht-Privaten offenbaren Wertvorstellungen und diskursive Strategien. Seit den 1970er und 1980er Jahren ist indessen eine Tendenz zur Flexibilisierung der Grenzsetzung zwischen Privatem und Nicht-Privatem beobachtbar. Beiträge zu diesem Schwerpunkt reflektieren die gegenwärtige Dynamik, also die mediale Erzeugung eines Zustands der permanenten Grenzüberschreitung, der 'Normalisierung' der Inszenierung des Privaten bzw. die Entwertung der Grenzmetaphorik und die Transformation des Privaten und Nicht-Privaten selbst.
4. Vergleichende Perspektiven auf Privatheit
Sowohl in synchroner als auch in diachroner Hinsicht können unterschiedliche Konzeptualisierungen von Privatheit verglichen werden. Hiermit sind historisch-semantische, linguistische und interkulturell kontrastierende Zugänge benannt:
- Historisch-semantische Perspektiven auf das Konzept der Privatheit können als Ausgangspunkt für zeitgenössische Betrachtungen dienen, weshalb auch Beiträge zu diesem Schwerpunkt willkommen sind.
- Was unter Privatheit verstanden und wie sie konzipiert wird, ist in hohem Maße eine kulturrelative Variable. So können Privatheitskonzepte nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf der von Gesellschaften und Kulturen vergleichend betrachtet werden.
- Da der Begriff des Privaten bisher immer nur ex negativo und relational definiert wurde, sind Beiträge willkommen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Verständnisse von Privatheit herausarbeiten und darauf abzielen, den Privatheitsbegriff z.B. rechtswissenschaftlich oder informationstechnologisch anwendbar zu machen.
Ziel des Forschungsfeldes ist es somit, zur Genese einer semiotisch fundierten Theorie der Privatheit beizutragen, die bestehende theoretische Ansätze vernetzen bzw. integrieren kann und medien- sowie kulturwissenschaftlich anschlussfähig ist.