Werbeanalyse
I.
Werbung, ob es sich um Text-Bild-Beziehungen in der Anzeigenwerbung oder um den audiovisuellen Werbespot handelt, ist eine Textsorte, die zum einen grundsätzlich auf unsere Realität referiert: Das Produkt, das beworben und verkauft werden soll, muss es geben. Zum anderen wird diese Wirklichkeit aber verändert wiedergegeben, denn es handelt sich immer um Realitätskonstruktionen in dem Sinne, dass Bilder/Modelle des Wünschenswerten vorgeführt werden. Deshalb drängt sich die Frage auf, inwieweit die Welten referieren, inwieweit sie überhaupt existieren und was sie in Bezug zur Realität verändern. Zum Dritten ist durch die Textsorte bereits indiziert, dass es sich um Mehnrvertstrategien handelt, die immer auch zwischen Authentizität und Fiktionalität oszillieren, da das Produkt nicht beliebig in der jeweiligen Diegese positioniert ist, sondern so, dass es einen semantischen Mehrwert erhält und dadurch von anderen Produkten unterscheidbar wird. Karmasin 2007 spricht in diesem Zusammenhang von Produkten als Botschaften. Und schließlich ist die Werbung ein begrenzter Diskurs, nicht nur, insofern das Produkt positiv positioniert werden soll und deshalb nur solche Verfahren zur Anwendung gelangen, von denen man pragmatisch im kulturellen Konsens davon ausgeht, dass sie diesem Zweck dienlich sind, sondern auch insofern, als zum einen bestimmte Themen tabuisiert sind und die Verlahren auszuloten sind, wie solch Tabuisiertes dennoch dargestellt werden kann, und es zum anderen rechtliche Vorschriften gibt, was sein darf und was nicht.
II.
Auch wenn Werbung etwa als störende Unterbrechung im Fernsehen angesehen und angeblich kaum wahrgenommen wird, werden jährlich Millionen-Etats in der Werbebranche umgesetzt. Die Bandbreite der Werbung reicht dabei von der Bewerbung eines einzelnen Produktes über die Positionierung von übergeordneten Marken bis hin zu umfassenden lmagekampagnen ganzer Konzerne. Investitionsvolumen und (audiovisuelle) Innovationsfähigkeit belegen schon, dass die Werbung nicht einfach nur ein Produkt präsentiert und bekannt macht. Vielmehr werden Botschaften vermittelt, die ein Produkt, eine Marke, ein Unternehmen mit bestimmten Werten und Welten des Wünschenswerten verbinden und von anderen Produkten, Marken und Unternehmen und deren Wertkonzeption unterscheiden und für bestimmte Zielgruppen attraktiv machen.
III.
Gegenstand einer semiotischen Betrachtung ist dementsprechend die semantische und die pragmatische Struktur von Werbung: die Strategien der expliziten oder impliziten schreibung kulturell akzeptierter Werte an ein Produkt/eine Marke/ein Unternehmen, die Strategien der Adressierung/kommunikativen Einbeziehung wie der textinterne Aufbau intendierter Zielgruppen. Semiotische Werbeanalyse untersucht die jeweiligen Strategien der Umsetzung und die Funktionalisierungen des Einsatzes der jeweiligen Verfahren (eigentlich/realistisch oder uneigentlich, narrativ oder nicht narrativ, einfach oder komplex, emotional oder rational) im Kontext des intendierten Ziels einer appellativen Funktion. Ebenso gilt es zu hinterfragen, ob eine bestimmte Werbung diesem Ziel tatsächlich dienlich ist, oder ob nicht, und woran dies aufgrund der Semantik des konstruierten Weltmodells liegen dürfte. Semiotische Werbeanalyse kann also auch dazu dienen, (argumentativ am jeweiligen Text fundierte) Grundlagen für eine Optimierung der Textstrukturen zur Verfügung zu stellen.
IV. Literatur zum Einstieg
- Nils Borstnar: Männlichkeit und Werbung. Inszenierung, Typologie, Bedeutung. Kiel: Ludwig 2002.
- Nils Borstnar: "Duftwelten. Kulturgeschichte, Marketing und das Verhältnis derGeschlechter". In: Hans Krah/Claus-Michael Ort (Hgg.), Weltentwürfe in Literaturund Medien. Phantastische Wirklichkeiten - realistische lmaginationen. Kiel 2002, S. 409-429.
- Nils Borstnar: "Medienwirkung". In: Hans Krah/Michael Titzmann (Hg.), Medien undKommunikation. Eine interdisziplinäre Einführung. Passau 2006, S. 197-214.
- Petra Grimm: Filmnarratologie. Eine Einführung in die Praxis der Interpretation am Beispieldes Werbespots. München: diskurs film 1996.
- Helene Karmasin: "Zeitkonzeptionen und Wertsysteme in der Werbung". In Kodikas/CodeArs Semeiotica 19,3 (1996; = Special Issue: Zeitertahrung und Lebenslaufmodellein Literatur und Medien, hrsg. von Michael Titzmann), S. 249-257.
- Helene Karmasin: "The Bovine Ferrari. Normierung - Mehnruert - Distinktion in Stammes-und lndustriegesellschaften". ln: Gustav Frank/ Wolfgang Lukas (Hg.), Norm - Grenze - Abweichung. Kultursemiotische Studien zu Literatur, Medien undWirtschaft, Passau: Stutz 2004, S. 383-409.
- Helene Karmasin: Produkte als Botschaften. 4. Aufl. Wien: Ueberreuter 2007.
- Hans Krah: "'Kulturelle' Vergangenheit in Anzeigenwerbung - Strategien der Instrumentalisierung von vergangener Zeit". ln: Eckhard Pabst: Strategien der elitären Inszenierung in der TV-Werbung. Alfeld 1997.
- Eckhard Pabst: "Produktabhängiger Raumwechsel im Werbespot". In: Kodikas/CodeArs Semeiotica 22,112 (1999; = Special lssue: Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Bedeutungs-Welten in Literatur, Film und Fernsehen, hrsg. von Hans Krah), S. 115- 129.