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"Der Mittelstand sollte mehr um Mitarbeiterinnen werben"

Mit dem Projekt Democlust untersucht Prof. Dr. Carola Jungwirth die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die ostbayerische Wirtschaft. Als Lösung für den drohenden Fachkräftemangel empfiehlt sie verstärkte Frauenförderung - und einen verstärkten Austausch mit Ländern wie Spanien.

| Lesedauer: 4 Min.

Prof. Carola Jungwirth

Prof. Carola Jungwirth, Foto: Florian Weichselbaumer

Welche Folgen hat der demografische Wandel für die Wirtschaft in Ostbayern?

Der demografische Wandel wird sich massiv auswirken – nach den derzeitigen Prognosen geht die Bevölkerung in Niederbayern bis 2030 um 2,0 Prozent zurück, davon in Regen um 11,9 Prozent und in Freyung-Grafenau um 8,6 Prozent. Das trifft besonders die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) – ihnen gehen die jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräfte verloren, zum Beispiel an den Ballungsraum München, dessen Bevölkerung um 8 Prozent wächst (Oberbayern + 6,8 Prozent). Diese Entwicklung ist aber nicht unausweichlich. In einer aktuellen Studie sagt eine Mehrheit junger Unternehmensgründer, dass bei der Standortwahl der Faktor Nähe die wichtigste Rolle gespielt hat. Sie siedeln sich dort an, wo sie aufgewachsen sind oder studiert haben. Ich halte es für einen Mythos, dass alle Jungen aus dem Bayerwald wegwollen. Im Gegenteil: Sie wollen bleiben, halten aber die Standortfaktoren für zu schlecht und orientieren sich daher anders.

Welche Standortfaktoren meinen Sie?

Wir arbeiten gemeinsam mit der Strategischen Partnerschaft Sensorik und den darin organisierten ostbayerischen Unternehmen im Projekt „Democlust“ an Handreichungen, wie diese Firmen ihre Innovationsfähigkeit erhalten können. Dabei stellen wir zunächst fest, dass der demografische Wandel schon angekommen ist – nicht nur in den hochqualifizierten Ingenieursberufen, sondern auch am Band sind die Probleme bereits offenkundig. Allerdings im Wesentlichen bei den KMU – Infineon in Regensburg oder BMW in Dingolfing haben (noch) keine Nachwuchsprobleme. Großen Unternehmen – die in Ostbayern unterdurchschnittlich präsent sind - schreibt man zu Recht bessere Ausbildungsstrukturen, Aufstiegsmöglichkeiten und höhere Gehälter zu. Entsprechend hohen Zulauf haben die Regionen, in denen sie sich ballen.

Was raten sie KMU vor Ort? Wie können diese mithalten?

Alleine können sie keine Personalentwicklung und keine Mitarbeiterrekrutierung finanzieren, wie sie ein Großkonzern sich leistet. Sie müssen also in Netzwerke zusammengehen. Wir entwickeln gerade ein Kompetenzmodul, um unter dem Dach der Strategischen Partnerschaft Sensorik Diversity-Schulungen zu organisieren, die auf die spezifischen Bedürnisse von KMU abgestimmt sind. Das geht in beide Richtungen: Ausländische Fachkräfte brauchen Sprachkurse und Hilfe für die alltägliche Praxis, um sich gut in einen ostbayerischen Arbeitsprozess zu integrieren. Auch die Führungskräfte brauchen ein Gespür für interkulturelle Besonderheiten. Sonst stehen sie relativ hilflos in der Produktionshalle und wissen nicht, wie sie den permanenten Streit zwischen ihren ethnisch unterschiedlichen Mitarbeitern schlichten sollen. Außerdem suchen wir nach sinnvoller interregionaler Vernetzung – wir analysieren vergleichbare Cluster etwa in Spanien. Bietet man den dortigen Firmen Kooperationen an, könnte Ostbayern von einem „Brain Drain“ profitieren. Junge, gut ausgebildete Spanier suchen Perspektiven außerhalb ihres krisengeschüttelten Landes – und gehen meist dorthin, wo schon viele ihrer Landsleute sind. Wenn man Anreize für spanische Firmen setzt, hier aktiv zu werden, erhöhen sich die Chancen, dass diese dringend benötigten Fachkräfte nicht nur nach München, sondern auch nach Deggendorf kommen. Diejenigen Unternehmen, die sich auf diese Weise vernetzen und zusammenschließen, werden zu den Gewinnern des demografischen Wandels gehören.

Und welche Potentiale bietet der regionale Arbeitsmarkt?

Gerade in technischen Feldern können die Unternehmen Fachkräftemangel auch bekämpfen, indem sie gezielt um Frauen werben. Dafür müssen sie aber an den Ursachen arbeiten, warum Frauen in diesen Bereichen unterrepräsentiert sind. Und z. B. familienfreundliche Arbeitsformen wie Job-Sharing einführen. In der IT veraltet zudem Wissen schnell. In anderen Ländern ist es daher inzwischen üblich, dass sich Frauen, die nach einem Mutterschutz wieder in den Beruf einsteigen, zu von den Firmen bezahlten Reading Circles treffen und sich dort wieder auf den neuesten Stand der Forschung und Entwicklung bringen. Die Unternehmen profitieren von einer höheren Loyalität und einer größeren Personalstabilität - Frauen halten statistisch gesehen ihren Arbeitgebern länger die Treue.

Hat der ländliche Raum eigentlich auch Vorteile?

Sowohl Flächen als auch Arbeitskräfte sind günstiger als in Ballungsräumen. Für Unternehmen, die ihre Produkte auf Vorrat produzieren und lagern können und in denen das Know-How nicht innerhalb kurzer Zeit veraltet, ist der ländliche Raum attraktiv. Sie profitieren hier auch von langfristigen Bindungen – bei einer Firma wie Rohde & Schwarz in Teisnach arbeiten zum Teil mehrere Generationen einer Familie. Insgesamt muss sich Ostbayern ja nicht verstecken: Es gibt viele Vorzeigeunternehmen, die in technischer Hinsicht Top-Niveau haben. Verbunden mit mehr interkultureller Kompetenz sind sie hervorragend aufgestellt. Daran arbeiten wir.

Prof. Dr. Carola Jungwirth ist Inhaberin des Lehrstuhls für internationales Management. Mit dem Projekt Wissensinitiative Passau Plus organisiert der Lehrstuhl den Wissenstransfer von der Universität Passau zu heimischen Unternehmen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Studierende in Kontakt mit potentiellen Arbeitgebern zu bringen. Im Projekt Democlust mit dem Verein Strategische Partnerschaft Sensorik forscht er an Methoden, wie Unternehmen dem demografischen Wandel aktiv begegnen können.

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Nicola Jacobi und Barbara Weinert
Tel.: +49 851 509-1434, -1450
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