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DFG fördert Sprachforschungsprojekt im dritten Jahr

Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft forschen über die Sprachentwicklungen an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze

| Lesedauer: 3 Min.

Bereits seit zwei Jahren erforschen zwei Projekt-Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft der Universität Passau unter der Leitung von Prof. Dr. Rüdiger Harnisch die Auswirkungen, die der ehemalige "Eiserne Vorhang" in den vier Jahrzehnten politischer Spaltung auf ehemalige einheitliche Sprachräume im thüringisch-bayerischen Kontaktgebiet hatte und hat. Die interessanten Zwischenergebnisse dieser Forschungen haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft nun bewogen, für den Abschluss der Untersuchungen Mittel im Umfang von zwei halben Stellen für ein weiteres Jahr zu bewilligen (rund 87.000 Euro nach rund 132.000 Euro im ersten Bewilligungszeitraum).

Das Projekt, das den genauen Titel "Untersuchungen zur Sprachsituation im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet - Neue Dialektgrenzen an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze nach vier Jahrzehnten politischer Spaltung?" trägt, ist das erste Vorhaben, das sich den sprachgeographischen Folgen der Überland-Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland in umfassender und systematischer Weise widmet. Es hat hohe gesellschaftspolitische Relevanz, indem es auf ehemalige wirtschafts-, kultur- und nicht zuletzt sprachräumliche Gemeinsamkeiten der vier Jahrzehnte lang hermetisch voneinander abgeriegelten Gebiete aufmerksam macht.

Wurde aus einer politischen Grenze auch eine sprachliche?
Ausgehend von der Tatsache, dass im untersuchten nordbayerisch-südthüringischen Grenzsaum vor der staatlichen Teilung einheitliche, die spätere Grenze überlagernde Sprachräume existiert hatten, wird an einem umfangreichen Datenmaterial untersucht, ob die Spaltung entlang der politischen Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik auch zu sprachlichen Grenzbildungen geführt hat. Empirische Grundlage des Projekts sind auf Tonträgern dokumentierte Sprachdaten, die kurz nach der deutschen Wiedervereinigung (1992 bis 1994) im Rahmen des DFG-Projekts Erhebungen zur Dialektsituation im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet in einer Feldforschungsaktion gesammelt worden waren. Die Erhebungen, die in zehn Ortspaaren entlang der früheren Grenze sowie in dem ehemals geteilten Dorf Mödlareuth ("Little Berlin") mit Dialektsprechern aus vier Altersgruppen durchgeführt wurden, umfassten jeweils die Abfragung dialektaler Merkmale (Lautung, Formen, Wortschatz), soziolinguistische Fragen zu Dialektgebrauch und sozialer Bewertung des Dialekts sowie - zur Gewinnung von Spontanmaterial - einen längeren freien Redeteil, in dem die Gewährspersonen im Dialekt erzählen sollten, wie sie die Grenzöffnung im November 1989 erlebt hatten.
In der Untersuchung geht es sowohl um mögliche sprachgrenzbildende Merkmale der sprachlichen Varietäten (Dialekte, "Umgangssprachen") selbst, als auch um die Frage, ob und gegebenenfalls wie die politische Grenze die Vorstellungen der Sprecher von den Sprachgrenzen in diesem Raum beeinflusst und zu möglicherweise neuen "mentalen" Sprachlandschaften geführt hat. An der Klärung dieser Fragen sind unterschiedliche sprachwissenschaftliche Disziplinen beteiligt: Aus Perspektive der Dialektologie wird gefragt, ob sich die Dialekte beiderseits der Grenze in Lautung, Formenbildung und Wortschatz auseinanderentwickelt haben. Aus Perspektive der Soziolinguistik wird gefragt, ob es einen Ost-West-Unterschied im Abbau des Dialekts, in seinen Gebrauchsbedingungen, in seiner sozialen Bewertung und in der Selbsteinschätzung der Dialektsprecher gibt.

Nähern sich Sprachräume nach dem Ende der Teilung wieder an?
In den bisherigen Untersuchungsergebnissen deutet sich an, dass es an der politischen Grenze zu einer von Generation zu Generation stärker werdenden auch sprachlichen Grenzbildung gekommen ist. Als ein Faktor dieser Entwicklungen konnte herausgearbeitet werden, dass sich die Sprecher auf der Ebene der Basisdialekte ins jeweilige sprachgeographische Hinterland umorientiert und sich an der Grenze dialektal immer weiter voneinander entfernt haben. Als anderer Faktor stellte sich heraus, dass auf den beiden Seiten der ehemaligen politischen Grenze dialektale Merkmale in unterschiedlichen Graden zugunsten ‚höherer Sprachformen (Umgangssprachen, Standardsprache) abgebaut wurden. Durch Nacherhebungen im jetzigen Untersuchungszeitraum soll nun auch geklärt werden, ob sich die Tendenzen, die sich am Anfang der 1990er Jahre im Material abgezeichnet hatten, fortsetzen oder umkehren.
Das Projekt geht einerseits einer drängenden zeit(sprach)geschichtlichen Fragestellung zum Varietätengefüge des Deutschen nach: Hat sich die "Grenze" auf die mündliche Alltagssprache der gespaltenen Bevölkerungsgruppen ausgewirkt? Anderseits stellt das Vorhaben einen wichtigen Baustein zu einer allgemeinen Sprachgrenztypologie bereit: Welche Divergenzen in - vormals - einheitlichen Sprachräumen ruft eine politische Grenze hervor, die (als hermetischer "Eiserner Vorhang") einen bisher noch nicht dagewesenen Trennungsgrad aufwies?

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Hinweis an die Redaktionen: Rückfragen zu dieser Pressemitteilung richten Sie bitte an Professor Dr. Rüdiger Harnisch, Tel. 0851/509-2780, oder an die Pressestelle der Universität Passau, Tel. 0851/509-1430, E-Mail: pressestelle@uni-passau.de.

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