Professor Dr. Dr. h.c. mult. Peter Hünermann thematisierte in seinem Vortrag das grundsätzliche Problem des „alten Typus‘“ Theologie und dessen fehlenden Bezug zum konkreten Leben von Menschen und ihren existentiellen Fragen. Die Brisanz und die Aktualität des Themas wurden bereits in der Begrüßungsrede von Prof. Dr. Werner Gamerith, Beauftragter der Universitätsleitung für Nachhaltigkeit, und in der anschließenden Laudatio des ehemaligen Lehrstuhlinhabers für Dogmatik, Prof. Dr. Hermann Stinglhammer, deutlich. Stinglhammer ist Schüler Hünermanns und stellte das Leben und Wirken des Tübinger Theologen vor.
Die lebhaften Debatten, die das Gespräch zwischen der universitären Theologie, der Gemeinschaft der Gläubigen und den Vertretern der amtlichen Kirche auf dem „Synodalen Weg“ in Deutschland bestimmen, machten deutlich, so Professor Hünermann, dass der Typus einer Theologie „ewiger Wahrheiten“, wie er in der Vergangenheit vor allem durch das kirchliche Lehramt favorisiert wurde, an seine Grenze gekommen ist. Über 2000 Jahre habe im westlichen Denken ein festes Weltbild die Wissenschaften dominiert. Die kosmische Perspektive des Aristoteles sollte auch Jahrhunderte später die katholische Glaubenslehre prägen.
Im Zuge der so genannten sprachanalytischen Wende (engl. linguistic turn) im 20. Jahrhundert sei das abendländische Denken von Grund auf neu bewertet worden. „Fortan wurde der Sprache eine zentrale Rolle zugeschrieben. Bedeutende Persönlichkeiten wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein deuten Sprache als unausweichliche Bedingung des Denkens. Die Reflexion des eigenen Denkens wird im Tenor des 20. Jahrhunderts folglich zur Sprachkritik. Darüber hinaus gewinnt zudem die Pragmatik an Einfluss, Sprechen wird als Handeln gewertet. Dieser Umbruch lässt auch Ansätze der Theologie nicht unberührt“, so der Theologe Hünermann. Ein Umdenken im Sprachsystem schaffe eine Wende hin zu einem neuen Typus von Theologie, der das kultur- und epochenübergreifende Phänomen des „Für-wahr-Haltens, dass das hier noch nicht alles ist“, besser verstehen lässt.
In der anschließenden Diskussion fasste Hünermann sein Anliegen zusammen: Er wollte zeigen, wie aus innertheologischen Gründen heraus eine Denkweise möglich werden kann, die sich als eine geschichtlich dimensionierte Auslegung des Glaubens in der Zeit begreift; nämlich als eine dialogische Gestalt von Theologie, die das „Wahr-Sein“ des Glaubens unter den Bedingungen der jeweiligen Zeit und Kultur begreift.