Der Atlas der deutschen Volkskunde, bezogen auf den gesamten deutschen Raum das größte geisteswissenschaftliche Projekt, das es in Deutschland jemals gab, hatte zum Ziel, die Alltagskultur in Deutschland am Ende der Weimarer Republik (Erhebungen 1930–1935) und damit zu einer in vielen Regionen noch vorindustriell geprägten Zeit zu dokumentieren. Über die ADV-Regionalstelle München wurden für Bayern an 1.820 Orten insgesamt 243 Fragen (mit zusätzlichen Unterfragen) zu unterschiedlichen Themenbereichen der Alltagskultur gestellt und beantwortet, von Festtagsbräuchen und Hochzeits- bzw. Totenritualen über Esssitten bis zu Aberglauben.
Bis heute ist der ADV weitgehend unausgewertet, nur wenige Karten und Analysen wurden damals angefertigt und publiziert. „Wir haben mit der Projektförderung die Möglichkeit, einen riesigen Datenschatz zu heben, einen Schatz, für den sich jahrzehntelang in der Forschungslandschaft kaum jemand interessiert hat“, erläutert Prof. Dr. Alexander Werth. „Zugleich bieten uns die Materialien einen Blick in regionale Alltagskulturen der Menschen, die vermutlich Jahrhunderte alt sind, die sich durch Globalisierung, Urbanisierung und Migration heute aber fast vollständig aufgelöst haben.“
Prof. Dr. Malte Rehbein sieht in dem Projekt die große Chance, das am Lehrstuhl für Computational Humanities beheimatete Labor für Kulturgutdigitalisierung weiter voranzubringen. „Wir haben es hier mit einem riesigen Bestand an vor allem handschriftlich ausgefüllten Zetteln und Fragebögen zu tun, die wir nun mit modernen Digitalisierungstechniken aufbereiten und der Wissenschaft zur Verfügung stellen wollen“, so Rehbein.
Für das Projekt wurde eine Forschungskooperation mit dem Institut für Volkskunde in München der Bayerischen Akademie der Wissenschaften eingegangen, wo die bayerischen Bestände des ADV beheimatet sind. Thematisch ist das Projekt zudem angebunden an das von den Passauer Lehrstühlen für Multilinguale Computerlinguistik (Prof. Dr. Johann-Mattis List), Computational Humanities (Prof. Dr. Malte Rehbein) und Deutsche Sprachwissenschaft (Prof. Dr. Alexander Werth) gegründete Wissenschaftszentrum „Methodikum“, das eine methodologische Grundlagenforschung in den Geisteswissenschaften zum Ziel hat und als Anlaufstelle für alle Fragen zur computergestützten und digitalen Methodik dient.